Inhalt von fernsehen der ddr

Dieser Link beinhaltet in Form eines Archivs die Gastbeiträge zu den Hintergrundinformationen rund ums DDR-Fernsehen, wie sie seit März 2021 schon auf der Titelseite präsentiert wurden. Alle bisherigen Artikel sind hier noch einmal nachlesbar; es ist mit dem Autor derer geplant, diese Rubrik in der vor uns liegenden Zeit ständig zu erweitern.

Der Professor mit der Flimmerkiste (7)

25.12.2023

Ob Sandmännchen, Nadelöhr, oder Flimmrich – alle waren Rahmenfiguren, um Filme zu senden. Vom Potsdamer Hanns-Otto-Theaters wechselte der Schauspieler Walter E. Fuß 1958 in eine Festanstellung beim DFF und am 14.9.1959 lief seine erste Sendung. Eigentlich absurd: Im Fernsehen einen Fernseher anschalten bzw. Filmprojektor. Wie gut sie alle diese wenig dankbare Aufgabe lösten, beweisen die Ehrungen als Fernsehliebling. Flimmrich bekam sie 1968. Die samstägliche Sendung, mal 14 Uhr, mal 16 Uhr, lief bis 1978 mit ihm. Schließlich störte ihn die politische Einflussnahme durch die Leitung immer mehr und er nahm nach über 800 Sendungen 57-jährig seinen Hut. Dreimal war er verheiratet. Seine erste Ehefrau war die Drehbuchautorin Helga Dinter. Sie brachte 1964 im Fotokino-Verlag ein Buch zur Sendung heraus. 40 Jahre lebte Walter E. Fuß in Klein Machnow und wurde als „Herr Professor“ gegrüßt. Er starb am 1. April 1996 in Potsdam.
Matthias Thalheim

Der Professor mit der Flimmerkiste (6)

24.12.2023

Als ich 1970 beim VI. Pioniertreffen in Cottbus auf einem Podium Walter E. Fuß sah, wollte ich mich bei ihm über das abgekartete Spiel der Scheinumfrage beschweren. Aber wer würde das verstehen? Und als Thälmann-Pionier wollte man ihm ja auch den Auftritt nicht verderben. Die Fragen aus dem Publikum waren fade. „Was das 'E' in seinem Namen bedeute?“ Solcher Pipikram konnte einen Filmkenner nur langweilen: 'Eberhard' natürlich. Innerlich kichern mußte ich, als Herr Fuß auf die Frage, ob er noch eine offene Wunschrolle habe, doch tatsächlich antwortete: Ja, den „Nathan“, den würde er gern noch spielen. Das schien selbst mir als Sechste-Klasse-Schüler wie ein peinlicher Witz. Der 1921 in Hamburg geborener Schauspieler hatte zwar dank seines norddeutschen Akzents eine Reihe Fischer, Matrosen und Hafenhucker spielen dürfen, aber mit dieser Spezialität würde er wohl kaum als „Nathan der Weise“ besetzt werden. Naja.
Matthias Thalheim

Der Professor mit der Flimmerkiste (5)

23.12.2023

Auf die Plätze fertig los! Mehrere Postkarten mit Streckenskizzen schickte ich an Professor Filmmrich und bot verschiedene Gleisabschnitte des gerade von der Deutschen Reichsbahn eingestellten Personenverkehrs auf der Muldentalbahn feil. Zwischen Neichen, Nitschka und Oelschütz gab es traumhafte Passagen ohne hohe Bahndämme! Geradezu ideal für einen berittenen Indianerangriff! Man musste nur die Zulieferzüge für die Farbenfabrik Nerchau und die Papierfabrik Golzern in die Nacht verlegen. Aber als hatte ich es geahnt, zeigten die DEFA-Filmer keine Lust, mit ihrer extra vom VEB Lokomotivbau Babelsberg zum Wildwest-Dampfross umgebauten Rangierlok nach Sachsen zu töfteln. Sie kurbelten die Chose mit der „Union Pacific“ lieber DEFA-nah bei Michendorf um die Ecke. Da konnten die Indianer und Cowboys nach Drehschluss wieder zu Hause sein und in ihrer Stammkneipe das Feierabend-Bier zischen. Von wegen: Helft uns Pioniere!
Matthias Thalheim

Der Professor mit der Flimmerkiste (4)

22.12.2023

Spätestens als man 1966 den Prof. Flimmrich verkörpernden Schauspieler Walter E. Fuß in der Rolle des Kutschers Theo im ersten Indianerfilm der DEFA „Die Söhne der großen Bärin“ sah, gewann er an Achtung. Zuvor war er hin und wieder für Sekunden als Turmbläser oder Königswache in Märchenfilmen aufgetaucht. Aber diese Kutscher-Rolle gab ihm sichtbar Aufwind. Es gefiel ihm, die Kino-Neuheit in seiner Sendung vorzustellen und sich selbst als Mitspieler zu präsentieren. Oder den Bösewicht-Spieler Helmut Schreiber zum Gespräch einzuladen. Als die DEFA 1967 den dritten Indianerfilm drehte, war sogar Regisseur Gottfried Kolditz zu Gast bei Flimmrich und bat die Kinder zuhause an den Bildschirmen um Hilfe. Angeblich suchte der Drehstab noch ein Stück gerader Eisenbahnstrecke mit viel Feldfläche daneben, um den Angriff der Dakota-Indianer auf eine Dampflok mit Reisewaggons der „Union Pacific“ drehen zu können.
Matthias Thalheim

Der Professor mit der Flimmerkiste (3)

21.12.2023

Mütter liebten Flimmrichs Sendung besonders, denn bei den ellenlangen sowjetischen Märchenfilmen wie „Die feuerrote Blume“ oder „Abenteuer im Zauberwald“, die mit den tiefsten Männerstimmen synchronisiert waren, die der DDR zur Verfügung standen (Maximilian Larsen, Heinz Suhr, Helmut Müller-Lankow u.ä.), wurden selbst die zickigsten Töchter und aufsässigsten Söhne für 75 Minuten ruhig, zahm und löffelten den Kuchen folgsam wie sonst nie. Mütter interessierte nicht, was der Professor mit der Fliege sonst noch veranstaltete: Den Pionieren die Probeaufnahmen für „Die Suche nach dem wunderbunten Vögelchen“ zu zeigen und sie per Postkarte an der Auswahl des Hauptdarstellers zu beteiligen. Oder das Ermitteln ihrer Lieblingsfilme und -schauspieler für die Ehrung mit der „Goldenen Flimmerkiste“, wie etwa Christel Bodenstein, Günter Simon. Dazu „Das singende klingende Bäumchen“ oder „Die Prinzessin mit dem goldenen Stern“.
Matthias Thalheim

Der Professor mit der Flimmerkiste (2)

20.12.2023

Natürlich hing es vom Alter ab, wieviel Respekt man diesem Professor zubilligte. Mir jedenfalls schien es wahrscheinlicher zu sein, dass Meister Nadelöhr wirklich Schneider war oder Meister Briefmarke echt ein Postbote, als dass dieser, mit einem Kittel bekleidete Mann ein Professor sei. Aber damals machte mir der Fernsehfunk im Ganzen den Eindruck, dass man sich dort mehr mit den Angelegenheiten von Kindern befasste, als ich es irgendwo sonst im Vorschul-Alltag unserer Kleinstadt erlebte. Deshalb wollte man den Fernsehleuten so einen Papp-Professor nicht so schwer ankreiden. Der „Karli Kurbel“ genannte Junge stellte interessante Fragen zu Fotografie und Film, und Flimmrich holte ja Filmregisseure, Kameraleute, Kinderdarsteller und echte Schauspieler in seine Sendung. Von den Filmen ganz abgesehen. Richtige Kinofilme wie „Der Amphibienmensch“. „Feuer, Wasser und Posaunen oder „Das geheimnisvolle Wrack“.
Matthias Thalheim

Der Professor mit der Flimmerkiste (1)

19.12.2023

Das Beste an diesem Professor war, dass er wieder verschwand und der Film begann. Für viele Kinder, wenn sie nicht ins Kino konnten, der einzige der ganzen Woche! Das Vorspannlied der Sendung (Text: Engel, Musik: Steinmann) - ein Ohrwurm: „Professor Flimmrich zeigt und erzählt, / das was Groß und Klein gefällt. / Was gibt es heut' bei ihm zu sehn? / Werden intressante Gäste vorgestellt? / Was gibt es heut' bei ihm zu sehn? / Zeigen Pioniere was aus ihrer Welt? / Was gibt es heut' bei ihm zu seh'n? / Ist der Professor vielleicht auf Reisen? / Was gibt es heut' bei ihm zu sehn? / Einen Film hat er bestimmt zu zeigen!“ Das war das Stichwort für meine Oma, uns Kindern den Ordnungsruf zu geben, uns gerade hinzusetzen. Spätestens bei „Liebe Freunde, kommt, es ist soweit, die Flimmerkiste steht bereit!“ saßen wir wie 'ne Eins auf dem Sofa. Obwohl erst mal Begrüßung und jede Menge Belehrung auszuhalten war, ehe der Film startete.
Matthias Thalheim

Casting für „Meister Nadelöhr“ (3)

18.12.2023

Was schließlich den Ausschlag für den aus dem Harz stammenden Eckart Friedrichson als „Meister Nadelöhr“ gab, ist heute nicht mehr zu ermitteln. Für seinen gleichaltrigen Berliner Schauspielerkollegen Kurt Schmidtchen blieb die Titelgestalt im DEFA-Märchenfilm „Das tapfere Schneiderlein“ (1956) eine seiner wichtigsten Hauptrollen. Auch wenn er damals den Part des „Meister Nadelöhr“ nicht übertragen bekam, wurde er als Sportskanone „Fritzchen Spurtefix“ schließlich doch noch Protagonist einer kurzen eigenen Sendereihe im Kinderfernsehen des DFF. Mit „Paddelboote klar“ entstand 1960 ein Fernsehfilm, der auch in die Kinos kam. Mit dem Bau der Mauer im August 1961 endete für den aus West-Berlin kommenden Darsteller sein Wirken im Ostteil Deutschlands. Besondere Bekanntheit erlangte Kurt Schmidtchen später in der ARD an der Seite von Dieter Hallervorden und Gerhard Wollner in der Reihe „Nonstop Nonsens“ (1975-1980).
Matthias Thalheim

Casting für „Meister Nadelöhr“ (2)

16.12.2023

Vielen ist Eckart Friedrichson (1930-76) als Idealbesetzung des „Nadelöhr“ erschienen. Wieso gab es dann noch einen zweiten Anwärter für den Schneider? Und wer ist dieser Kurt Schmidtchen (1930-2002), der damals wie Friedrichson ebenfalls am Berliner Theater der Freundschaft engagiert war? Ein Blick in sein Rollenverzeichnis macht es klar: Schmidtchen dreht zu dieser Zeit gerade bei der DEFA in der Titelrolle den Farbfilm „Das tapfere Schneiderlein“ (1956). Na, da habt ihr doch einen passenden Schneider!, wird man gesagt haben, denn er spielt ihn sehr agil und pointiert. Als dritter Märchenfarbfilm der DEFA nach „Das kalte Herz“, Regie: Paul Verhoeven (1950) und „Die Geschichte vom kleinen Muck“, Regie: Wolfgang Staudte (1953) macht „Das tapfere Schneiderlein“, Regie: Helmut Spiess (1956) allerdings einen sehr trivial sozialistisch aufgebürsteten Eindruck und bekommt in Westdeutschland keine Kinozulassung.
Matthias Thalheim

Casting für „Meister Nadelöhr“ (1)

20.11.2023

„Casting“ heißt wichtigtuend neudeutsch das Auswählen von Darstellern. Dabei bezweifelt niemand, wie stark die Besetzung den Erfolg bestimmt – egal ob Krippenspiel in Kamenz oder Blockbuster in Hollywood. Früher hieß es „Besetzungsprobe“. Und in der Kinobranche nannte man es einfach „Probeaufnahmen“. Die gab es 1929 sogar für Marlene Dietrich in Vorbereitung von „Der blaue Engel“. Kaum zu glauben, wenn es die Tonfilm-Probe nicht aufbewahrt gäbe. Aber wer bitteschön hätte denn sonst die „Lola“ spielen sollen? Trude Hesterberg - Freundin des Autors Heinrich Mann! Heute vergessen. Nur die Dietrich wurde mit der von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellten Lola weltbekannt. Daran musste ich denken, als ich jüngst von Jan Friedrichson erfuhr, dass neben seinem Bruder Eckart Friedrichson 1955 beim Adlershofer Kinderfernsehen tatsächlich noch ein anderer Schauspieler für „Meister Nadelöhr“ vorgesehen war: Kurt Schmidtchen.
Matthias Thalheim

Der überraschende Fernseh-Fund im Brigitte-Reimann-Jahr 2023 (6)

10.10.2023

Bei der DEFA überlebten verbotene Filme, weil Schnittmeisterinnen Arbeitskopien bereits in Sicherheit brachten, wenn sich Zensurdebatten andeuteten. Dieser Kurzfilm von Brigitte Reimann jedoch war 1970 gesendet worden. Wer konnte da die absurde Kassation ahnen. Aber 53 Jahre danach wurde im Frühjahr 2023 das geteilt-deutsche Wunder bekannt: In den Tausenden Kilometern 16mm-Film, auf denen für das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen alles Ost-Fernsehen ca. 1960-73 in Hannover, West-Berlin und beim ZDF von Monitoren mit Ton abgefilmt wurde (später auf Video), fand sich jener verschollen geglaubte Film. Zum 50. Todestag der Autorin im Juli 2023 gab es eine erste öffentliche Vorführung im Literaturzentrum Neubrandenburg. Das Deutsche Rundfunkarchiv (DRA) lieferte die Kopie, wenn auch in schwarz-weiß. Das Ost-Fernsehen ab 1969 auch noch in Farbe abzufilmen, wäre selbst dem reichen Westen zu teuer geworden.
Matthias Thalheim   

Der überraschende Fernseh-Fund im Brigitte-Reimann-Jahr 2023 (5)

09.10.2023

Einmal noch wird der Film wiederholt – 1973 stirbt die Autorin – er wäre in Vergessenheit geraten, wenn nicht 1997/98 die beiden Tagebuch-Bände Brigitte Reimanns im Aufbau-Verlag erschienen wären. Darin ihre Einträge zu den Dreharbeiten. Im Anhang muss die Herausgeberin Angela Drescher jedoch anmerken, dass der Film verschwunden ist. Für das Fernseharchiv ein Skandal. Als Manfred Krug 1977 aus der DDR ausgereist war, bekam der Film den Sperrvermerk: „Gesang Manfred Krug!“ Damit sollten weitere Ausstrahlungen vermieden werden – die Sendekopie aber wäre erhalten geblieben. Bei einer Archivbereinigung im Jahr 1984 jedoch – Archive brauchen immer Platz und sondern Altes aus – kommen Negativ und Kopie auf die Kassationsliste! Motto: Krug kehrt nicht zurück, das wird sowieso nie mehr gesendet. Also wird die Bildschicht zur Silberrückgewinnung abgewaschen und auch der Blankfilm wird recycelt. Kulturfrevel à la DDR.
Matthias Thalheim

Der überraschende Fernseh-Fund im Brigitte-Reimann-Jahr 2023 (4)

08.10.2023

Der Kameramann Hildebrandt dreht möglichst unentdeckt mit Teleoptik und fängt viele Neubrandenburger Gesichter ein. Die vormalige Kleinstadt hatte ihre Einwohnerzahl in wenigen Jahren verdreifacht. Und doch bleibt es ein ruhiger, nachdenklicher Film. Auch durch die Stimme von Jessy Rameik, die den Brieftext aus Brigitte Reimanns Feder unter den impressionistischen Bildsequenzen spricht. Die Musik von Wolfram Heicking begleitet dezent mit Konzertgitarre, Flöte, Saxophon; manchmal Bass und Schlagzeug. Dazwischen auch Stille, Vogelstimmen, Schritte, ein Dampflokpfiff. Dazu der Scat-Gesang von Manfred Krug, des Abschiedsmotivs wegen in moll. Um auf die essayistische Form dieses Dokumentarfilmes vorzubereiten, druckt die „FFdabei“ sogar auf zwei Seiten (!) Auszüge aus dem von ihr verfassten Drehbuch ab. Die Erstausstrahlung des Halbstunden-Films am 20. März 1970 auf DFF II ist die einzige Farbsendung an diesem Tag.
Matthias Thalheim

Der überraschende Fernseh-Fund im Brigitte-Reimann-Jahr 2023 (3)

07.10.2023

Aus dem Exposé ein Drehbuch und Text für den Bildkommentar zu schreiben, setzt enge Zusammenarbeit mit Regie und Kamera voraus. Die Dreharbeiten sind gefährdet: Einerseits ist Neubrandenburg mit roten Transparenten und Plakaten für den anstehenden XX. Jahrestag der DDR so überflutet, dass die Farbkonzeption der Stadtspaziergänge entlang der Backsteinbauten mit Pastelltönen und Herbstlaub-Nuancen beinahe scheitert. Der Kameramann ist verzweifelt: Überall rot, rot, rot. Anderseits ist die Autorin, die inzwischen erfuhr, dass ihr Geliebter in Hoyerswerda Vater wird, seelisch völlig am Boden und schreibunfähig. Helmut Sakowski bringt die rettende Idee ein, den Erzähltext wie einen Abschiedsbrief abzufassen, den Franziska Linkerhand geschrieben haben könnte. Ihr Romanmanuskript ist noch lange nicht abgeschlossen, aber einzelne Motive der jungen Architektin hat Brigitte Reimann zur Hand und findet aus der Blockade heraus.
Matthias Thalheim

Der überraschende Fernseh-Fund im Brigitte-Reimann-Jahr 2023 (2)

06.10.2023

Die Dreharbeiten zu diesem Stadtporträt hatten im September 1969 begonnen, einen Tag nachdem sich Brigitte Reimann endgültig von ihrem langjährigen Partner Jon (Hans Kerschek) für immer getrennt hatte. Sie war von Hoyerswerda nach Neubrandenburg umgezogen; er hatte versprochen, ihr zu folgen. Eine Lüge. Der Schriftsteller Helmut Sakowski („Wege übers Land“, DFF 1968) hatte der krebskranken Brigitte Reimann bei diesem schwierigen Wohnortwechsel geholfen. Sicher steckte er auch hinter der Beauftragung mit dieser Fernseharbeit, denn sie hatte so gut wie kein Einkommen mehr. Beim II. Programm freute man sich über Angebote für die wenigen möglichen Farb-Sendungen. Einen Halbstunden-Streifen auf 16mm-Farbfilm über die wachsende Bezirksstadt Neubrandenburg zu drehen, war bezahlbar. Das Thema interessierte. Ein kleines Team ging an die Arbeit - Redaktion: Sigrid Smolka, Kamera: Manfred Hildebrandt, Regie: Bernd Scharioth.
Matthias Thalheim

Der überraschende Fernseh-Fund im Brigitte-Reimann-Jahr 2023 (1)

05.10.2023

Mit nur 39 Jahren starb Brigitte Reimann 1973. Ihr 50. Todestag und 90. Geburtstag verstärkten 2023 das Interesse an dieser Autorin. Ins Fernsehprogramm hatte sie zu Lebzeiten nur selten vordringen können: 1962 mit dem Fernsehspiel „Die Frau am Pranger“ und am 20.3.1970, 20 Uhr im II. Programm mit ihrem Neubrandenburg-Film „Sonntag, den … - Briefe aus einer Stadt“. „Die Frau am Pranger“ thematisierte die schwierige Situation einer deutschen Bäuerin, die sich während des Zweiten Weltkrieges in einen Zwangsarbeiter aus der UdSSR verliebt. Kein populäres Sujet,  eine Wiederholung blieb aus. Auch der 30-minütige Streifen zum modernen Neubrandenburg war in textlicher Hinsicht keine leichte Kost. Als eine der ersten Farbproduktionen wurde diese poetische Reportage noch ein zweites Mal ausgestrahlt, dann bekam sie nach Manfred Krugs Ausreise 1977 einen Sperrvermerk, denn sie enthielt Vokalgesang des Abtrünnigen.
Matthias Thalheim

Spielmeister und Fernsehlieblinge fallen nicht vom Himmel (10)

14.09.2023

Eine Doppelmoderation kommt erst im Dezember wieder zum Einsatz, als unter dem Titel „Einmal im Jahr“ eine Gala mit den „Schlagerstudio“- Gewinnern aus dem Dresdner Kulturpalast übertragen wird. Jetzt steht eine große Könnerin ihres Fachs, Erika Radtke (*1937), mit Frank Obermann am Mikrofon. Die Texte für beide stammen von Wolfgang Brandenstein (1929-2021). Eine Aufzeichnung der Veranstaltung vom 20.12.1970 kann man auf „youtube.com“ sehen, kann sich ein Bild von der damaligen Jahresernte machen und bekommt einen Eindruck von der Ausstrahlung Frank Obermanns (1944-95), der dem „Schlagerstudio“ über zwei Jahre einen guten Leumund gibt. Ab 1972 bis 1982 präsentiert dann jener temperamentvolle Moderator die Sendung, mit dem „Das Schlagerstudio“ allgemein in Verbindung gebracht wird: Chris Wallasch (* 1935). Die letzte Nachfolge-Sendung 1983-89 heißt schließlich „Bong“ und wird von Jürgen Karney (* 1954) präsentiert.

Spielmeister und Fernsehlieblinge fallen nicht vom Himmel (9)

13.09.2023

Wie schwierig die Geburt solcher Sendekonzepte ist, zeigt schon der Hang oder Zwang zum Duo. Natürlich will man nicht nur einen Mann an der Spitze solcher monatlichen Sendung haben, sondern auch eine Frau. Allein der Gleichberechtigung wegen. Dabei weiß man, wie schwierig solche Doppelconferencen zu schreiben und erst recht flüssig über die Rampe zu bringen sind. Katrin Siegel, ebenfalls eine Schauspielerin, und Frank Obermann präsentieren am 25. Februar 1970, 20 Uhr in Nr. 2 des „Schlagerstudios“ erneut zehn Neuvorstellungen. Die Sendung ist dem DFF so wichtig, dass sie sogar vor dem zweiten Teil von „Ich – Axel Cäsar Springer“ läuft, der erst danach um 21 Uhr ausgestrahlt wird. Das dritte „Schlagerstudio“ läuft indes nicht, wie anzunehmen war, im März 1970 – da weist die „FFdabei“ lediglich „Frühlingsschlager“ aus – das dritte Schlagerstudio läuft am 29. April 1970 ohne Doppelmoderation. Mit Frank Obermann allein.
Matthias Thalheim

Spielmeister und Fernsehlieblinge fallen nicht vom Himmel (8)

12.09.2023

Sicher, einen Quizzmaster finden oder einen versierten Conferencier hat es in sich. Aber Ende der 60er Jahre, als die Musik immer mehr mit Beat aufgeladen wird, in der DDR einen Moderator für eine neue Wertungsendung für Schlager zu finden, will mir wie der blanke Wahnsinn erscheinen. Natürlich soll er das junge Publikum anziehen, darf aber keine lange Haare haben. Ein gut gekämmter Schwiegersohn-Typ fortschrittlicher Weltanschauung, den einfach alle toll finden. Da liegt der in Riesa geborene 26-jährige Schauspieler Frank Obermann auf der Hand. Die DEFA hatte ihn in zwei Spielfilmen besetzt: im Lehrerinnen-Film „He Du!“ mit Annekathrin Bürger und dem Volksmarine-Streifen „Hart am Wind“ mit Regina Beyer. Dieser Frank Obermann moderiert zusammen mit Katrin Siegel am Mittwoch dem 28. Januar 1970 das erste im Kulturhaus Bitterfeld aufgezeichnete „Schlager-Studio“ mit Helga Brauer, Michael Hansen, Ina Martell usw.
Matthias Thalheim

Spielmeister und Fernsehlieblinge fallen nicht vom Himmel (7)

11.09.2023

Schlager-Interpreten und ihre Titel füllen das Unterhaltungsprogramm des DFF seit Ende der 50er Jahre auf verschiedenen Plätzen wie z.B. „Von Melodie zu Melodie“ (1960-64) mit Gerry Wolff und Christine Laszar oder „Schlager einer kleinen Stadt“ (1964-67) mit Heinz Florian Oertel. Regelmäßige Sendungen, die sich der aktuellen Schlagerproduktion von Radio und Schallplatte widmen, gibt es wenige. Zum Beispiel die von Margot Ebert moderierte „Tip-Parade“ (1962-64), die von Wolfgang Brandenstein präsentierten Querschnitte „Schlager aktuell“, oder „Schlager '67/ '68/ '69“ – charmant begleitet von Ingo Graf, der selber Schlager singt. Spätestens da zeigt sich, das Problem des nötigen Abstandes, wenn aktive Interpreten  solche Sendungen präsentieren. Auch wenn man die Popularität solcher Duos wie Monika Hauff & Klaus-Dieter Henkler oder Chris Doerk und Frank Schöbel für Moderationen nutzen will, steht man vor der Kalamität.
Matthias Thalheim

Spielmeister und Fernsehlieblinge fallen nicht vom Himmel (6)

10.09.2023

Samstag, den 20.1.1968, 20 Uhr, steigt die Bildschirm-Premiere von „Da liegt Musike drin – Ein bunter Abend mit Gerd Ehlers als Gastgeber“. Mit Stars wie dem ungarischen Kunstpfeifer Tamas Haky, Regina Thoss u.a. Auch drei weitere Abende mit Gerd Ehlers gehen 1968 noch über den Sender, aber währenddessen wird bereits der in Leipzig aufgewachsene Reiner Süß angefragt, ob er sich vorstellen kann, die Moderation zu übernehmen, weil der Vertrag mit Gerd Ehlers nicht verlängert werde. Der 38-jährige Reiner Süß sagt zu. Ab Januar 1969 heißt es dann: „Da liegt Musike drin – Bunter Abend mit Kammersänger Reiner Süß als Gastgeber“. Acker Bilk and his Jazz-Band begleitet den Neustart. Nach Horst Lehn übernimmt schließlich Heinz Quermann die Redaktion. Der bringt Bruno Kleeberg als versierten Regisseur mit. Erich Götze, Spitzen-Tonmeister des Rundfunks, sorgt 18 Jahre lang für perfekten Ton, 100 Sendungen über. Bis 1985.
Matthias Thalheim

Spielmeister und Fernsehlieblinge fallen nicht vom Himmel (5)

09.09.2023

Für Gerd Ehlers als Gastgeber dieser Unterhaltungs-Gala sprechen viele Argumente: Ein Jahr vor dem Fernsehstart von „Da liegt Musike drin“ hatte er sich im Rolf-Herricht-Musikfilm „Geliebte Maus“ (DEFA 1964) an der Seite von Marianne Wünscher als Friseursalonchef Simmel sängerisch wie auch tanzend bewiesen. Er ist eine imposante Erscheinung – ein Komödiant, der sogar in Schurkenrollen sympathisch wirkt. Dass er dann wieder doch nicht so passend ist, zeigt erst die Praxis: Als ein aus Holstein stammender, akzentfreier Norddeutscher wirkt auf die Sachsen im Saal eher wie ein Berliner. Er ist ein Protagonist des Films, aber nicht der Operette oder der Oper, deren Musikdarbietungen er vorwiegend zu moderieren hat. Dazu in einem festen Engagement am Maxim-Gorki-Theater in Berlin. Für die „Musike“ braucht Ehlers nicht nur stets einen spielfreien Samstagabend, sondern immer auch vier Tage davor für die Proben in Leipzig...
Matthias Thalheim

Spielmeister und Fernsehlieblinge fallen nicht vom Himmel (4)

08.09.2023

Auch wenn die Holzkuppel das „Haus der heiteren Muse“ sommers sehr heiß werden lässt, es im Herbst, Winter, Frühjahr schwer beheizbar macht und die Dachpappe nie wirklich vor Niederschlag schützt – hier kann der DFF ohne Begrenzungen einleuchten, Kamera- und Tonproben ansetzen, hier verlangt kein Friedrichstadtpalast Ersatzzahlungen für Einnahmeausfälle. Hier sind fernsehgerechte Einbauten möglich. Leipzig verfügt über ein dankbares Publikum und über gute Musikanten: Das Fips Fleischer-Orchester, Rundfunk Tanzorchester, Rundfunk Blasorchester und dazu Rundfunkchor und Rundfunkkinderchor. Was trifft dieses Potential besser als der Sendetitel „Da liegt Musik drin“. Nun braucht die Premiere im Januar 1968 nur noch einen zünftigen Conferencier: Den 41-jährigen Gerd Ehlers. Einen stattlichen eloquenten Schauspieler mit Bassstimme, bekannt aus vielen DEFA- und Fernsehfilmen. Als Schurke ebenso wie als Bonvivant.
Matthias Thalheim

Spielmeister und Fernsehlieblinge fallen nicht vom Himmel (3)

07.09.2023

Dass die beliebte Revue „Da lacht der Bär“ (1955-65) mit ihren drei Mikrofonisten für die Ost-Kampagne „Deutsche an einen Tisch“ werben sollte, war mit dem Mauerbau vergessen. Vier Jahre lief der Bär noch; danach klaffte eine Riesenlücke im DFF-Programm. Die Zeit großer Koproduktionen mit dem Radio ging zu Ende, der Friedrichstadtpalast kreierte eigenes, und vorproduzierten Schlager-Sendungen mangelte es an Glamour und dem Live-Applaus eines Großpublikum. Abgesehen davon hatte das Jahr 52 Samstage, und nicht jeden konnte die Unterhaltungsredaktion mit einem Spitzenprogramm bedienen. Das von Horst Lehn (1926-93) entwickelte Estradenkonzept von „Da liegt Musike drin“ (1968-85) bot gute Kompensationsmöglichkeiten. Vor allem einen passablen Veranstaltungsort: Das Leipziger „Haus der heiteren Muse“ – einen am Ort des 1943 zerbombten Kristallpalasts errichteten manegeartigen Kuppelbau mit der Kapazität für 1.800 Gäste.
Matthias Thalheim

Spielmeister und Fernsehlieblinge fallen nicht vom Himmel (2)

06.09.2023

Die Unterhaltungsformate „Sind Sie sicher“ (1964–73), „Da liegt Musike drin“ (1968–85) und „Schlagerstudio“ (1970–82) eint der jeweilige Fehlversuch, sie mit Leinwand-Stars populär machen zu wollen: Mit Günther Simon, Gerd Ehlers und Frank Obermann. Den Berliner Schauspieler Simon (1925-72) hatte die Titelrolle des Monumental-Zweiteilers „Ernst Thälmann - Sohn/ - Führer seiner Klasse“ (DEFA 1953-55) auf den Typ des prinzipientreuen Mannes verengt. Er bekam danach auch unterhaltsamere Rollen; wie z.B. bei „Meine Frau macht Musik“ (DEFA 1959). Aber solche Ansätze reichten für den Sympathievorschuss eines Spielmeisters im Fernsehquizz „Sind sie sicher?“ nicht aus. In einer geschriebenen Kinoszene humorvoll zu sein, war etwas anderes als im Live-Gespräch mit dem als Laie agierenden Quizzkandidaten. Man trennte sich schnell wieder und fand man in dem Dokfilm-Regisseur Karl Gass (1917-2009) eine ideale Persönlichkeit.
Matthias Thalheim

Spielmeister und Fernsehlieblinge fallen nicht vom Himmel (1)

05.09.2023

Vorausgeschickt sei, dass der DFF an sich glückliche Hand bei tragfähigen Programmideen und passenden Präsentatoren hatte. Man denke an Willi Schwabes „Rumpelkammer“ (1955-92), an Eckart Friedrichsons „Meister Nadelöhr“ (1955-76), an Adi (Gerhard Adolph) und sein „Mach mit, mach’s nach, mach’s besser“ (1964-91), an Walter E. Fuß und „Professor Flimmrich“ (1959–91) oder an Heinz Florian Oertels „Porträt per Telefon“ (1969-90). An Erika Krause mit „Du und Dein Garten“ (1968–90) oder Walter Becker mit „Verkehrsmagazin“ (1966–91) etc. Beständigkeiten von über 30 Jahren sind Weltspitze. Daher soll es keine Häme sein, wenn hier einzelne, eher wenig bekannte Anläufe von Sendungen beleuchtet werden, die zu Zweit- und Folgebesetzung führten. Angefangen von „Sind Sie sicher“ über „Da liegt Musike drin“ oder „Schlagerstudio“. Sendungen, die wahrlich keine Eintagsfliegen waren, nur eben mit Moderatorenwechsel starteten.
Matthias Thalheim

Die Fernsehlieblinge der DDR – ein Gang durch die Jahre 1962 bis 1988 (10)

23.08.2023

Warum gab es für die Fernsehlieblinge keinen „Extra-Kessel Buntes“? Warum kein „Da liegt Musike drin“? Das wäre wenigstens das Präsentieren einer Publikumsentscheidung vor Publikum gewesen. Man hört förmlich die Redakteure barmen: „Ach nee, das passt nicht zu unserem Konzept ...“ Dabei wurde damals noch kein Geld mit kostenpflichtigen Telefonnummern zur TED-Abstimmung gemacht! Damals frankierten Tausende von Umfrage-Teilnehmer ihre Postkarten mit naßklebenden Briefmarken. War anfangs noch ein Walter-Ulbricht-Kopf auf blaugrauem Fond drauf zu sehen, war es später bis zum Ende in grüner Grafik ein Pelikan vor dem Alfred-Brehm-Haus. Der Clou jedoch: das Postkarten-Porto war stabil: 5 Pfennige. Auf jeden Fall hätten die Teilnehmer der Umfragen nach den Fernsehlieblingen mehr Referenz im Programm verdient. Immerhin vertrauten sie, dass ihre Stimmen korrekter ausgezählt werden als ihre Voten zur Volkskammer-Wahl.
Matthias Thalheim

Die Fernsehlieblinge der DDR – ein Gang durch die Jahre 1962 bis 1988 (9)

22.08.2023

20 Jahre vergehen, bis die Fernsehlieblinge endlich auch tatsächlich im Fernsehprogramm ausführlicher Niederschlag finden. Aber was heißt „ausführlich“, wenn 1983 ein von Maxi Haupt moderierter Überblick als Stundensendung läuft. Auch danach wird den Lieblingen kaum mehr Sendezeit eingeräumt, wenn Juergen Schulz (1984) oder Claudia Berlin und Axel Kaspar (1985) sie präsentieren. Und mit der Idee, die Fernsehlieblinge am Rande des Berliner Künstlerballs 1987 von Fred Gigo und Werner Zimmer vorstellen zu lassen, bekleckert sich die Unterhaltungsredaktion auch nicht mit Ruhm. Die bescheiden wirken sollende Attitüde „Keine Selbstbeweihräucherung!“ bzw. „Bloß nicht soviel wertvolle Sendezeit für Eigendarstellung vergeuden!“ muss dem Publikum wie Hohn klingen, denn Beweihräucherung gab es im DDR-FERNSEHEN sonst ohne Ende. Es war wohl eher die Gesinnung: „Wir lassen uns das Programm doch nicht von der Zeitung bestimmen!“
Matthias Thalheim

Die Fernsehlieblinge der DDR – ein Gang durch die Jahre 1962 bis 1988 (8)

21.08.2023

Aber auch jenseits der Schwierigkeiten nach dem Abschieben Wolf Biermanns bekommt man den Eindruck, dass die Fernsehlieblinge bei den Adlershofer Fernsehleuten selber immer ein recht ungeliebtes Kind blieben. Vielleicht, weil man sie nicht als ein eigenes Kind betrachtete, sondern als irgend so eine Pressesache von Außen? Weil man in Osten keinen Star-Rummel wollte? Völlig absurd, ja arrogant wirkt der Umstand, dass die einzige Programmzeitschrift der DDR über Jahre mit den Umfragen zu den Bildschirmlieblingen auf jeweils über 100.000 Postkarten einen Schwall von Sympathiebekundungen in Form von über einer Million Einzeltipps geschickt bekommt, aber die Fernsehleute selber nichts damit anfangen zu wollen scheinen. Wenn man an westliche Shows mit der „Bambi“-Verleihung denkt, an die „Goldene Kamera“ oder inzwischen an die „Goldene Henne“, wirken die Adlershofer Präsentationen geradezu affig niedrig gehangen.
Matthias Thalheim

Die Fernsehlieblinge der DDR – ein Gang durch die Jahre 1962 bis 1988 (7)

20.08.2023

Von 1962-88 gab es 21 Umfragen nach Fernsehlieblingen der DDR. 1963 gab es gar keine und 1972 nur Monatsumfragen. Von 1976 bis 1979 wurden überhaupt keine Fernsehlieblinge ermittelt, was mit den Protesten gegen die Ausweisung Wolf Biermanns 1976 zusammenhing: Immerhin waren im vorangegangen Jahr Angelica Domröse, Nina Hagen und Maria Moese zu Fernsehlieblingen gekürt worden. Nun hatten sie sich (bei M. Moese ihr Ehemann Willi) dem Protest der Schriftsteller um Stefan Heym, Christa Wolf und Günter Kunert gegen die Ausweisung per Unterschrift angeschlossen. Und Nina Hagen war Biermanns Ziehtochter. Was, wenn Domröse, Hagen und Moese für 1976 erneut als Fernsehliebling ermittelt werden? Was, wenn Manfred Krug, Jutta Hoffmann, Armin Mueller-Stahl oder Elsa Grube-Deister Fernsehliebling werden sollten? Auch sie hatten gegen Biermanns Rausschmiss protestiert. Dann lieber erst mal gar keine Lieblinge mehr. Vier Jahre lang!
Matthias Thalheim

Die Fernsehlieblinge der DDR – ein Gang durch die Jahre 1962 bis 1988 (6)

19.08.2023

Das aufgefächerte Ergebnis der Fernsehlieblinge 1969 lautet: 1. Karl-Eduard von Schnitzler, 2. Günter Herlt, 3. a) Lissy Tempelhof, 3. b) Horst Schulze, 4. Benito Wogatzki, 5. Karl-Heinz Gerstner, 6. Gerhard Behrendt für das Kollektiv Sandmännchen, 7. Heinz Florian Oertel, 8. Hans-Georg Ponesky, 9. a) Klaus Feldmann, 9. b) Annemarie Brodhagen, 10. Manfred Krug. Mit ungewohnt großen farbigen Konterfeis werden die zwölf Fernsehlieblinge auf Seite Vier und Fünf der „FF-dabei“ abgedruckt - schön die Außenaufnahme mit Lissy Tempelhof. Die elf anderen Kunstlicht-Farbfotos wirken wächsern. Auch, weil man den Seitengestalter angewiesen haben muss, die Bild-Ausschnitte der Porträts so halsnah eng zu wählen, dass Kragen und Revers abgeschnitten und damit alle SED-Abzeichen unsichtbar sind. Es wären einige „Bonbons“ zusammengekommen. Chefredakteur Osmund Schwab war pragmatisch: Dann lieber alle Lieblinge mit: oben ohne.
Matthias Thalheim

Die Fernsehlieblinge der DDR – ein Gang durch die Jahre 1962 bis 1988 (5)

18.08.2023

Zäsur und Neuanfang bedeutet der Einstieg der „FF-dabei“ in die Ermittlung der Fernsehlieblinge. Mit dem II. Programm und dem Farbfernsehen zum 20. Jahrestag der DDR kommt Oktober 1969 diese neue, auf 48 Seiten erweiterte farbige Wochenillustrierte auf den Markt. Auflage: über 1 Mio. Exemplare! Waren bis dahin ca. 40.000 Zuschriften der „Berliner Zeitung“ die Basis der Umfrage, wächst sie nun auf über 100.000 Teilnehmer an. Mitmachen per Postkarte wird mit 200 Geldpreisen im Umfang von 10.000 Mark motiviert. Für die Lieblinge 1969 wird in zehn Kategorien gefragt: 1. In aktuell-polit. Sendungen?; 2. Als Kommentator?; 3. In Fersehfilmen/-spielen, a) weibl.?/ b) männl.?; 4. Als zeitgenössischen Autor?; 5. In Wirtschafts-/ Wissenschaftssdg.?; 6. In Kinder-/ Jugendsdg.?; 7. In Sportsdg.?; 8. In Unterhaltungssdg.?; 9. Als Ansager o. Sprecher, a) weibl.?/ b) männl.?; 10. Und wen sehen Sie außerdem noch besonders gern?
Matthias Thalheim

Die Fernsehlieblinge der DDR – ein Gang durch die Jahre 1962 bis 1988 (4)

17.08.2023

Für die späte Ära von Ulbrichts „sozialistischer Menschengemeinschaft“ scheint es geradezu vorbestimmt, dass Dauerlächler und Süßholzraspler wie der salbungsvolle Spielmeister Hans-Georg Ponesky (Mit dem dem Herzen dabei/ Spiel mit!) und pastorale Wichtigtuer wie Hans Jacobus (Das Professorenkollegium tagt/ Treffpunkt Berlin) zu Bildschirmlieblingen gekürt werden (Ponesky 1966-70: 5x/ Jacobus 3x). Die Verdienste um das kritische Wirtschaftsmagazin „Prisma“ werden seinem Mitgründer und Moderator Gerhard Scheumann hoch angerechnet wie auch dem Nachfolger Karl-Heinz Gerstner. Interessant zeigt sich die Differenz zwischen den Direktoren Prof. Wolfgang Ullrich und Prof. Heinrich Dathe vom Dresdner Zoo bzw. Tierpark Berlin, mit leichter Präferenz für den frühverstorbenen Ullrich (1923-73). Und auch Irmgard Düren, die 15 Jahre lang das sonntägliche „Wünsch Dir was“ moderierte, kommt 1967 die Ehrung Fernsehliebling zuteil.
Matthias Thalheim

Die Fernsehlieblinge der DDR – ein Gang durch die Jahre 1962 bis 1988 (3)

16.08.2023

Die Gliederung in Kategorien bringt ab 1965 ein Gespenst wie Karl-Eduard von Schnitzler in den Rang eines Fernsehlieblings. Auch den Sprecher der Aktuellen Kamera: Klaus Feldmann. Er kam trotz langweiligster Nachrichten sympathisch rüber und hatte das Glück - obwohl auch Mitglied - kein SED-Parteiabzeichen vor der Kamera tragen zu müssen. Das musste per Anweisung von oben sein Kollege Hans-Dieter Lange. „Feldmann ohne, Lange mit – das zeigt, wie tolerant wir sind.“ (Willi Stoph). War 1964 noch Eckart Friedrichson als Meister Nadelöhr gekürt worden, ist es nun das „Kollektiv Meister Nadelöhr“. Darüber mag man schmunzeln, aber damit werden die Spieler von Pittiplatsch, Bummi, Schnatterinchen etc. in die Ehrung einbezogen, auch die Text- und Liedautoren etc. Die Ansagerinnen wechseln von Annemarie Brodhagen zu Erika Radtke. Die Schauspieler von Otto Mellies (Dr. Schlüter) bis zu Ursula Karusseit (Wege übers Land).
Matthias Thalheim

Die Fernsehlieblinge der DDR – ein Gang durch die Jahre 1962 bis 1988 (2)

15.08.2023

Vielleicht weil das Resultat beim DFF nur ein „Hätten wir Euch gleich sagen können!“ erzeugt, vielleicht, weil es auch der Berliner Zeitung nicht nur um Sterne der Bildschirm-Oberfläche gegangen war, lässt man 1963 die Befragung erst einmal ruhen und erarbeitet eine qualifiziertere Version, die das Publikum mit Einzel-Genres zu einer komplexeren Jahressichtung anregt. Das 1964er Ergebnis liest sich dann so: Margot Ebert (Ansagerin), Erwin Geschonneck (Schauspieler), Gerhard Scheumann (aktuell politische Sendung ''Prisma''), Günter Prodöhl (Autor der ''Blaulicht-Reihe''), Willi Schwabe (Unterhaltungssendung), Heinz Florian Oertel (Reporter), Eckart Friedrichson (Kinderfernsehen ''Meister Nadelöhr''). Beachtlich ist die gar nicht auf dem Bildschirm zu sehende Person Prodöhls als Autor der mit Humor geschriebenen „Blaulicht-Krimis“. Außerdem auch die Reduzierung der Lieblinge von zehn auf sieben Namen.
Matthias Thalheim

Die Fernsehlieblinge der DDR – ein Gang durch die Jahre 1962 bis 1988 (1)

14.08.2023

Wer immer den Artikel „Fernsehliebling“ auf wikipedia.de (Stand 8/2023) verfasste – viel Mühe hat er sich mit den Tatsachen nicht gemacht. Entgegen dortiger Angaben wurden diese Lieblinge bereits 1962 ermittelt und keineswegs jeweils jährlich bis zum Ende der DDR, denn es gab Jahre ohne diese Ehrung: 1963, 1976-79 und 1989. Nur, dass es Leute wie Heinz Florian Oertel gab, der 17mal Fernsehliebling wurde, stimmt und lässt das Ganze recht öde erscheinen, vielleicht gewollt: à la: Typisch öde DDR. Doch ein genauerer Blick lohnt immer: Es war die Berliner Zeitung, die am 10. November 1962 eine Leserumfrage startete und am 16. Dezember 1962 die ersten zehn Lieblinge abdruckte: Rolf Herricht, Willi Schwabe, Margot Ebert, Heinz Florian Oertel, Heinz Quermann, Das Sandmännchen, Inge Keller, Eberhard Cohrs, Prof. Wolfgang Ullrich und Bärbel Wachholz. Nichts davon überraschend, aber eine gute Spiegelung der Zuschauersympathien.
Matthias Thalheim

Was DEFA darf, gilt nicht für Adlershof – zweigleisige DDR-Zensur der 70er/80er Jahre (4)

25.07.2023

Was den Leuten im Publikum ein- und desselben Landes völlig bekloppt erscheint – dass es von zweierlei Zensur-Instanz ausgesprochene Genehmigungen bzw. Verbote gibt, lernen Regisseure, Autoren etc. für die öffentliche Durchsetzung ihrer Werke mehr und mehr zu nutzen. Plastisches Beispiel ist der Titel „Langeweile“ der Rockband „Pankow“, Text und Gesang: André Herzberg, mit den Zeilen: „Dasselbe Land zu lange gesehn/ Dieselbe Sprache zu lange gehört/ Zu lange gewartet, zu lange gehofft/ Zu lange die alten Männer verehrt/ Ich bin rumgerannt, zu viel rumgerannt, ist doch nichts passiert“. Immerhin erscheint dieser Song 1988 bei AMIGA auf der LP/MC „Aufruhr in den Augen“ und wird ein Riesenerfolg in der DDR. Aber für alle Radiosender und Fernsehprogramme besteht für diese Nummer bis November 1989 konsequentes Aufführungsverbot. Danach verschwindet das SED-Politbüro und ein Jahr später auch das Kulturministerium samt DDR.

Was DEFA darf, gilt nicht für Adlershof – zweigleisige DDR-Zensur der 70er/80er Jahre (3)

24.07.2023

Aber selbst innerhalb des nämlichen Bereichs Agitation – zwischen Radio und Fernsehen – gibt es Unterschiede im Annehmen von Geschichten. Zum Beispiel der des Rentners Bruno Nakonz, der nicht hinnehmen will, dass eine ältere elektrische Kaffeemühle nicht zu reparieren sei. Joachim Nowotnys 1974 urgesendetes Hörspiel „Ein altes Modell“ hatte bei Hörern und Presse Beifall gefunden. Als aber zwei Jahre später Regisseur Ulrich Thein diesen Stoff in einem Fernsehfilm umsetzen will, kommt das Drehstopp vom Intendant Adameck, der modernes Fernsehen für eine moderne DDR machen und keinen Film haben will, in dem es um alte Küchengeräte geht. Der damalige Dramatikchef Engelhardt jedoch weigert sich, sich diesem Wink zu beugen. Keine Kunst, denn er hat in Hauptdarsteller Erwin Geschonneck einen konfliktbereiten Mitstreiter, so dass Weihnachten 1976 zu dessen 70. Geburtstag das verfilmte Hörspiel schließlich doch noch laufen kann.
Matthias Thalheim

Was DEFA darf, gilt nicht für Adlershof – zweigleisige DDR-Zensur der 70er/80er Jahre (2)

23.07.2023

Für Filme ist die Dualität besonders absurd: Fernsehfilme, die zum Agitationsbereich Joachim Herrmanns zählen, werden in der Regel strenger beäugt als DEFA-Spielfilme, die zum Kulturbereich von Kurt Hager gehören. Die Filmkritikerin Renate Holland-Moritz enthüllt in einem 2015 geführten Zeitzeugen-Gespräch, dass jener machtbesessene Herrmann, der 1978 die Nachfolge von Werner Lamberz antrat, das DDR-Fernsehen und die DEFA zu einem Kombinat zusammenführen wollte, dem er allein vorzustehen gedachte. Nachdem Hager diesen perfiden Plan zu Fall bringen kann, rächt sich Herrmann: Hatte er als Oberzensor in aller ihm unterstehenden Presse bislang dafür gesorgt, dass DEFA-Premieren vor allzu argen Verrissen verschont bleiben, gibt er nun die DEFA zum Abschuss frei. Erst nach einer Weile begreifen die DDR-Filmkritiker, dass es in den Besprechungen der Babelsberger Spielfilme fortan gar nicht finster genug zugehen kann.
Matthias Thalheim

Was DEFA darf, gilt nicht für Adlershof – zweigleisige DDR-Zensur der 70er/80er Jahre (1)

22.07.2023

Zum schwierigen Wechsel der eisigen und lockeren Zeiten, die eine ohnehin widersprüchliche Duldung von Fernsehsendungen, Büchern, Theateraufführungen, Gemälden oder Schlagern bedeutete, kommt in der DDR eine zweigeteilte Zensur dazu: Die Massenmedien Fernsehen, Hörfunk und Presse unterstehen direkt dem SED-Politbüro-Sekretär für Agitation Joachim Hermann. Dagegen werden staatliche Einrichtungen wie DEFA, Buchverlage, Theater, Kabaretts, Schallplatte, Museen etc. vom Kulturminister Hans-Joachim Hoffmann kontrolliert. Auch wenn es nur eine scheinbar gespaltene Herrschaft zu sein scheint, denn jener ist ebenfalls Mitglied der SED, so ist es doch ein anderer, zweiter Funktionär des Politbüros, der den Kulturminister dirigiert – der Sekretär für Kultur, Kurt Hager. Der Agitations-Herrmann wurde allein des Leitorgans NEUES DEUTSCHLAND wegen von Honecker täglich gegängelt. Kultur-Hager nur in den Politbüro-Runden dienstags.
Matthias Thalheim

„Komm mit nach Montevideo“: Herricht singt, Krug auch, aber der DFF ignoriert es (8)

27.06.2023

„Montevideo“ hatte für Ostdeutsche den Reiz einer unerreichbaren Küstenmetropole Südamerikas. Es bot überdies gute Assoziationen zur westdeutschen Verfilmung der Komödie „Das Haus in Montevideo“ von Curt Goetz, die seit 1954 auch in der Kinos der DDR und im DFF zu sehen war und einen überholten Moralkodex in Sachen unehelicher Geburten thematisierte. Im Gegensatz zu diesem 90minütigen Leinwand-Schinken altväterlicher Läuterung bieten Jurek Becker und Kurt Belicke in ihren 75 Minuten Live-Sendung mit vorproduzierten Filmeinspielern eine leichtfüßige Erzählgangart ohne Belehrungsanspruch und Besserungsbotschaft. Angesichts vieler bereits dutzendfach wiederholter „Polizeiruf 110“-Filme aus der 70er, 80er Jahren, fragt man sich, warum so ein gelungenes Fernsehlustspiel von 1963 keine Reprise bei MDR oder RBB wert zu sein scheint? Etwa bloß weil es nicht mit dem zweifelhaften Thrill eines Verbrechens aufwarten kann ..?!
Matthias Thalheim

„Komm mit nach Montevideo“: Herricht singt, Krug auch, aber der DFF ignoriert es (7)

26.06.2023

Vor lauter Unsicherheit sucht Siegfried in der Tanzbar Halt am Wodka und steckt sich en gros Zigaretten an. Zum Glück hatte Freund Hetz im Vorfeld bei Siegfrieds Untermiets-Nachbarin Regina Stein erkundet, dass sie länger schon für eine Beziehung mit Siegfried offen sei. Ehe Hetz, mit seiner eigener Bar-Eroberung abgehen will, telefoniert er Regina herbei, die den berauschten Siegfried vor weiterem Genussmittelmissbrauch bewahrt, ihn schließlich an ihren Schultern hängend nach Hause und ihn bald auch unter die Haube bringt. Dem Antritt der Montevideo-Stelle steht nichts mehr im Wege. Unter südamerikanischen Gitarrenklängen sieht man Siegfried und Regina übers Ostberliner Rollfeld zum Flugzeug rennen. Wie bei einem Lustspiel üblich, ist die Handlung mit heißer Nadel genäht – aber was der 35jährige Herricht an komödiantischer Vitalität bietet, hält den Vergleich mit Heinz Rühmann stand und macht szenische Provisorien verzeihlich.
Matthias Thalheim

„Komm mit nach Montevideo“: Herricht singt, Krug auch, aber der DFF ignoriert es (6)

25.06.2023

Wer diesen Boogie-Woogie „Ich fahr mit Dir bis zum Bosporus ...“ aus dem Munde Manfred Krugs hört, fragt sich sofort, warum dieser Tanztitel mit Hit-Potential nicht bei AMIGA erschienen ist? Warum sieht man im Fernsehspiel ein Statisten-Gesicht am Mikrofon, wenn doch Manfred Krug den Titel singt? Warum wird Krug auch gar nicht im Abspann des Fernsehspiels genannt, der üblicherweise sogar kleinste Nebenrollen-Spieler aufführt? Wer schrieb überhaupt die pointierten Texte der drei Gesangsnummern? Schrieb den Text des Uruguay-Fußballlieds der Sportfanatiker Jurek Becker? Kurt Belicke den Text für den Annoncen-Schlager? Und Manfred Krug die Worte für die Bosporus-Nummer? Immerhin hat er – wie man heute weiß - unter dem Pseudonym Clemens Kerber eine ganze Reihe charmanter Titel getextet; viele davon, den Witz des Stabreims nutzend. Die Musiken jedenfalls komponierte Wolfgang Pietsch, Marianne Wünschers Ehemann übrigens.
Matthias Thalheim

„Komm mit nach Montevideo“: Herricht singt, Krug auch, aber der DFF ignoriert es (5)

24.06.2023

Nach gescheiterter Annonce wird Siegfried, der Anti-Alkoholiker und Milchtrinker zwecks Eheanbahnung in die RIO-BAR geführt. Tolle Boogie-Woogie-Musik, aber das Sängergesicht singt mit Manfred Krugs Stimme: „Ich fahr mit Dir bis zum Bosporus,/ nach Bombay, zum Südpol, zum Kaukasus,/ für Dich ist mir wirklich kein Land zu fern,/ für Dich, Liebling, mach ich das alles gern -/ aber Morgen.../, heut' hab ich ganz andre Sorgen!/ Morgen mach ich alles für Dich,/ aber jetzt bringe ich zur Tür Dich,/ lass mich heute bitte damit in Ruh'!// Ich tauch' für Dich auf den Meeresgrund,/ ich kauf Dir den teuersten Schäferhund,/ ich hol Dir vom Himmel den höchsten Stern,/ für Dich, Liebling, mach ich das alles gern -/ aber Morgen ...// Ich steig' für Dich den Mont Blanc hinauf,/ und forderst Du dann, dass ich mit Bären rauf,/ werd ich das tun, ohne mich zu beschwer'n,/ für Dich, Liebling, mach ich das alles gern -/ aber Morgen ..!“
Matthias Thalheim

„Komm mit nach Montevideo“: Herricht singt, Krug auch, aber der DFF ignoriert es (4)

23.06.2023

Dieses von Herricht im Off, also unter Bild, entzückend gesungenes Annoncen-Lied wird, mit witzigen Schnittbildern vom Abklappern der Zusenderinnen gekontert, zum musikalischen Höhepunkt: „Ich will Ihnen nicht verschweigen,/ was ein Leben mit mir Ihnen bieten kann./ Ich bin still und solide und überhaupt,/ ich bin gut zu leiden, sehr verträglich, sehr bescheiden, turne täglich./ Bin ich gar für Sie der rechte Mann?“ Wie erwartet, endet die Brautsuche per Offerte im Desaster. Und als der erschöpfte Siegfried (Herricht) von seinem Freund Hetz (Werner Toelcke) naseweis gefragt wird, wie die Sache ausgegangen sei, bekommt er von ihm zurück: „Tote reden nicht“! Eine Anspielung auf den Sendetitel von Toelckes Zweiteiler-Krimi, der zehn Tage davor im DFF lief. Und genau genommen, war es tolldreist, auch „Komm mit nach Montevideo“ jenen Titel zu verpassen, der nur wenige Monate nach dem Mauerbau wie bitterer Hohn wirken muss.
Matthias Thalheim

„Komm mit nach Montevideo“: Herricht singt, Krug auch, aber der DFF ignoriert es (3)

22.06.2023

Siegfried (Herricht) zieht seinen Freund Hetz (W. Toelcke) zu Rat, der zu annoncieren empfiehlt. Im Eifer übersehen die Herren, dass Siegfrieds Wirtin Frau Niclas (Agnes Kraus) mit der Standesbeamtin Regina Stein (B. Krause) ja eine ledige Untermieterin beherbergt, die für den Hochzeitsplan durchaus in Frage käme. Natürlich stolpern die Männer erst einmal ins Gestrüpp einer Heiratsofferte. Und so bekommt Rolf Herricht einen Gesangsauftritt: „Junger Mann, eins fünfundsiebzig, mit Zukunft, Sinn fürs Schöne, Phantasie,/ sucht umständehalber auf diesem Weg eine herzensreine,/ hübsche zarte, süße kleine,/ sehr aparte, herzensgute, resolute Sie – Vielleicht Sie?// Sie muss viel Verständnis haben/ mit mir, vom Schicksal leidgeprüften Mann./ Sie muss sein wie ein Schirm, der vor Regen schützt,/ sie muss sehr charmant sein, zuverlässig, tolerant sein, nie gehässig./ Kurz und gut, sie muss ein Engel sein! - Vielleicht Sie?“
Matthias Thalheim

„Komm mit nach Montevideo“: Herricht singt, Krug auch, aber der DFF ignoriert es (2)

21.06.2023

Die Story des Lustspiels: Ein schüchterner, von Rolf Herricht gespielter Außenhändler wird zum Ministerium bestellt, das ihn als Vertreter in Uruguays Hauptstadt entsenden will. Der innere Jubel ist kurz, denn für solche Posten muss man verheiratet sein. Der Held jedoch ist ledig, Nichttänzer, und in drei Wochen schon soll's losgehen. Auf der Rückfahrt hört er völlig verwirrt Manfred Krug im Autoradio singen: „Bei einem Fußballspiel in Uruguay,/ die erste Halbzeit war noch nicht vorbei,/ entstand auf einmal eine Schlägerei -/ bei einem Fußballspiel in Uruguay!// Der Anfang war ein gut gezieltes Ei,/ und plötzlich war das Publikum dabei./ Zu böserletzt kam auch die Polizei -/ bei einem Fußballspiel in Uruguay!// Weil's doch so oft passiert, dass man den Kopf verliert,/ fand niemand was Besonderes dabei./ Man gab sich bald die Hand, und mit 'nem Kopfverband/ ging's weiter dann -/ bei einem Fußballspiel in Uruguay!“
Matthias Thalheim

„Komm mit nach Montevideo“: Herricht singt, Krug auch, aber der DFF ignoriert es (1)

20.06.2023

Obschon in der goldenen Ära des Fernsehspiels darin eingefügte Gesangseinlagen vom Publikum begrüßt und von der Dramaturgie gefördert werden, gehen Ankündigung und Abspann eher stiefmütterlich damit um. So etwa bei Jurek Beckers am Mittwoch, dem 16.1.1963, gesendeten Stück „Komm mit nach Montevideo“, das er mit Kurt Belicke geschrieben hatte. Immerhin wird es als „Lustspiel mit Musik“ angekündigt – dass jedoch zwei der drei von Wolfgang Pietsch komponierten Titel gar nicht von Hauptdarsteller Rolf Herricht, sondern von Manfred Krug gesungen werden, verschweigen Fernsehzeitung und Abspann, in denen Krug noch nicht einmal genannt wird. Damals zwar erst 25 Jahre jung, ist er durchaus schon ein Leinwandstar („Auf der Sonnenseite“). Sein noch jüngerer Freund Jurek Becker hat ihm bereits in seinem zweiten Fernsehspiel eine Gesangs-Mugge mit zwei Nummern verschafft. Dabei zu sehen ist Krug nicht. Aber jedermann hört ihn.
Matthias Thalheim

Minderjährige Größe – Fernsehvergnügen mit Kurt Davids „Freitags wird gebadet“ (10)

11.06.2023

Was heute hochdotierte Coachs in Kommunikations-Workshops oft nicht gebacken bekommen – ihren Teilnehmern die Unterschiede und Konsequenzen von „Eigensicht“ und „Fremdbild“ beizubringen, das gelingt dieser DFF-Serie von 1965 mit Charme, Intelligenz und Mutterwitz quasi wie im Spiel und auch auf den letzten Drücker! Zwölf Tage nach der Ausstrahlung der finalen Folge am 1. Dezember verdonnert Herr Honecker in seinem verheerenden Leitreferat des 11. SED-Plenums alle Film- und Fernsehschaffenden zur „sauberen Leinwand“ und läutet eine kulturpolitische Eiszeit ein. Nur wenige Male (1970/72 und 79) wagen die Adlershofer Fernsehleute Wiederholungen ausgewählter Einzelfolgen des „Tagebuchs eines Minderjährigen“. Zwecks Befüllung des neu gegründeten 2. Programms. Dabei hätte die geistreiche Serie alle zwei Jahre eine Reprise verdient. Aber sie berührte Volksbildungs-Terrain; und das überwachte die Frau des Herrn Honecker.
Matthias Thalheim

Minderjährige Größe – Fernsehvergnügen mit Kurt Davids „Freitags wird gebadet“ (9)

10.06.2023

Dass der DFF „Das Wort“, die 4. Folge der Serie, erst 21 Uhr statt sonst 20 Uhr ausstrahlt, war dem  Jugendschutz geschuldet. Besagtes „Wort“ schnappt Heinz im Schlafzimmer auf. Weil ihr Fernseher „Patriot“ mitten im Krimi aushaucht, müssen die vorfristig zu Bett gekommenen Eltern selber rätseln, wer der Mörder war. Als sie ein Weibsbild hervorkombinieren und der Vater stutzig nachsetzt: „Etwa die Nutte!“, kann sich Heinz nicht länger schlafend stellen und grätscht in die elterlichen Ermittlungen einfach rein: „Is'n das – 'ne Nutte?“ Die entsetzten Gesichter von Mama und Papa ergeben ebenso komische Bilder wie die kindlichen Vorstellungen, die Heinz zur untauglichen Wort-Erklärung des Vaters entwickelt: „Eine wenig angezogene Frau“ (für Heinz nur in Schürze und Lockenwicklern), die sich „Männer von der Straße angelt“ (für Heinz per Kurbel und Angelsehne mit einer aus ihrer Großstadt-Wohnung ausgeworfenen Rute).
Matthias Thalheim

Minderjährige Größe – Fernsehvergnügen mit Kurt Davids „Freitags wird gebadet“ (8)

09.06.2023

Minderjährige Größe – Fernsehvergnügen mit Kurt Davids „Freitags wird gebadet“ (8)
Stark bleibt Folge 5 „Ziegen-Wilhelm“ erinnerlich. Als Darstellerleistung von Hans Hardt-Hartloff und als motivische Vorwegnahme von McCartneys Welthit „The Fool on the Hill/ Der Narr auf dem Berge“: Die Figur eines sturen Einsiedlers, dessen gefürchtete Adresse Heinz das Pech hat, auf seiner Sammelliste für den Weltfriedens-Fond erwischt zu haben. Dem Jungen ist vorher klar, Wilhelm wird nix geben. Ein Misanthrop, den keine der ausgeorgelten Parolen bekehren kann. Beeindruckend, wie geschickt das Ganze geschrieben ist, denn sonst hätte solche Verweigerung keinen Platz im Fernsehen der SED-Oberen gefunden, die sich im Besitz der einzig gültigen Rezeptur zur Weltverbesserung wähnten. Kein Erwachsener kommt in dieser Folge gut weg: Nicht nur Heinz' Vater – auch Lehrer Lampel zieht es vor, die Sache mit 2 Mark aus eigenem Portemonnaie aus der Welt zu schaffen. Noch 60 Jahre danach auf youtube.com kostenfrei vergnüglich.
Matthias Thalheim

Minderjährige Größe – Fernsehvergnügen mit Kurt Davids „Freitags wird gebadet“ (7)

08.06.2023

Als Heinz seinen Vater auf dessen Geheiß am Telefon verleugnet, kehrt sich die Chose gegen beide Lügner und entlässt sie nicht in laues Serien-Eiapopeia. Mit einem sich jährlich auf den letzten Drücker wiederholenden Eilkauf der obligatorischen Bluse zu Mutters Geburtstag blamiert sich vor allem der Vater. Kurios auch der Elternbesuch des Klassenlehrers, den der Sohn, des Wohnzimmers verwiesen, aus der Küche durch die Ofen-Röhre verfolgt, mit der der Kochherd die gute Stube verbindet. Mit Heinz' Auge lunzt die Kamera durch die Klappenschlitze. Lehrer Haußmann will dem schlechten Deutsch seiner Schüler durch Abendkurse für die Eltern begegnen. Kammerspiele erster Güte: Nie hat man Helga Raumer vergnügter als in jener Blusen-Folge spielen gesehen, und nie den sonst eher mit der Wurst nach der Speckseite werfenden, sich ans Publikum ranschmeißenden Jochen Thomas so differenziert wie in der Guckofen-Folge.
Matthias Thalheim

Minderjährige Größe – Fernsehvergnügen mit Kurt Davids „Freitags wird gebadet“ (6)

07.06.2023

Ohne Nachdruck vermittelt diese bemerkenswerte Unterhaltungs-Serie aus der Perspektive des Schülers Heinz einen so befreienden Geist und sympathischen Impetus gegenüber Obrigkeit und Ideologie: „Haltet uns doch bitteschön nicht für so blöde, dass wir Kinder (respektive: wir einfachen Leute vom Lande) Euren ganzen Zinnober mit 'sozialistischer Menschengemeinschaft', Fortschritt usw. nicht durchschauen würden!“ Dabei sind Handlung und Figuren wohlgemerkt in einem Dorf der oft belächelten Provinz angesiedelt und nicht auf den erleuchteten Straßen einer schlaumeierischen Großstadt. Dass die Schüler der 7. Klasse während ihres Unterrichtstages im Rinderstall der LPG vom dortigen Personal die Schmähung „Kuhschwanz-Piloten“ einigermaßen gelassen hinnehmen müssen, ist angesichts des seit Juri Gagarins Raumflug herrschenden Kosmonauten-Rauschs der DDR-Gesellschaft mehr als ein keckes Seitenlicht auf die Realitäten. 
Matthias Thalheim

Minderjährige Größe – Fernsehvergnügen mit Kurt Davids „Freitags wird gebadet“ (5)

06.06.2023

Die Entscheidung Kurt Davids, seinen Heinz zwei Jahre älter sein zu lassen als den Alfons Zitterbacke von Holtz-Baumert, erweitert den Erzählradius ungemein. In der Episode, in der der 10-jährige Alfons seinen Namen „Zitterbacke“ bei seinem Vater beklagt, weil er sich auf die Hühnerkacke reimt, mit der er bespottet wird, kommt zwar auch Krach und Komik in die elterliche Wohnung, aber wenn Kurt David seinen Heinz anlässlich eines Aufsatzes das Thema Spitznamen ins Spiel bringen lässt, kommt dessen Vater Richard, seines Zeichens Feldbaubrigadier, in eine weitaus heiklere Situation. Er nötigt seinen Sohn, ihm den Spitznamen zu verraten, den er von Heinz' Mitschülern verpasst bekommen hat: „Sklaven-Richard“! Wenn die Klasse den „Unterrichtstag in der Produktion“ (UTP) – hier die Landwirtschaftliche – unter Heinz' Vater zu absolvieren hat, kommandiert er die Schüler immer nur zum Steine-Sammeln auf den Acker.
Matthias Thalheim

Minderjährige Größe – Fernsehvergnügen mit Kurt Davids „Freitags wird gebadet“ (4)

05.06.2023

Noch ehe ein Wort fällt, erzählen die Bilder. Einen zweiminütigen Vorspann lang schwenkt die Kamera den Oberboden eines Wohnhauses ab und entdeckt die symbolhaften Utensilien der Kindheit des minderjährigen Helden - den abgestellten 50er-Jahre-Kinderwagen aus Kunststoff-Geflecht, das zusammengeklappte Laufgitter, den hölzernen Tretroller, Schaukelpferd und Rodelschlitten. Und ehe sich hinter der Bodenklappe das schelmische Gesicht des Protagonisten Heinz (Bernd Siegmundt) zeigt, sieht man, wie er seine Schuhe durch den Spalt schiebt. Um nicht gehört zu werden, hat er die Stiege auf Strümpfen erklommen. Sein Tagebuch, das er hier auf dem Dachboden führt, ist in einer Lasche hinten auf der Türklappe verborgen. Das Schaukelpferd rückwärts als Sitzgelegenheit bestiegen, das Verdeck des Kinderwagens als Schreibpult nutzend, schreibt er Zeile um Zeile und gibt aus dieser Dachperspektive allem Geschehen seinen Lauf.
Matthias Thalheim

Minderjährige Größe – Fernsehvergnügen mit Kurt Davids „Freitags wird gebadet“ (3)

04.06.2023

Nach der ungeschickt zusammengestoppelten Reihe „Heute bei Krügers“ (DFF 1960-63) wirken die sieben 14-tägig ausgestrahlten Folgen „Aus dem Tagebuch eines Minderjährigen“ (DFF 1965) wie ein zeitloses Meisterwerk der Unterhaltungsdramatik. Die schlüssige Rezeptur: Ein kundiger, humorvoller Autor; als Figuren: ein pubertierender Sohn, Mutter, Vater und – weil auf Film gedreht und nicht mit den wenig beweglichen Live-Kameras – konnte mit subtilen bild- und tonkünstlerischen Mitteln des Spielfilms erzählt werden. Mit subjektiver Kamera, innerem Monolog des Haupthelden, ausgewählten Filmtricks und einer ironisch komponierten Musik. Dazu das junge Team - der 34jährige Gendries (Buch und Regie), der 30jährige Pietzsch (Kamera), der 36jährige Kuhl (Musik) und der 29 Jahre junge Dramaturg Dorschan. Mit sichtbarem Vergnügen lassen sie die wichtigtuerische Welt der Erwachsenen im Röntgenblick eines Halbwüchsigen zerbröseln.
Matthias Thalheim

Minderjährige Größe – Fernsehvergnügen mit Kurt Davids „Freitags wird gebadet“ (2)

03.06.2023

Minderjährige Größe – Fernsehvergnügen mit Kurt Davids „Freitags wird gebadet“ (2)
Weshalb man den Titel „Aus dem Tagebuch eines Minderjährigen“ für diesen Mehrteiler (DFF 1965) bemühte, dessen Buchvorlage mit „Freitags wird gebadet“ bereits einen knackigen Titel in petto hatte, bleibt rätselhaft. Möglicherweise sollte per Fernsehen keine Mangel-Diskussion zur Wannenbad-Ausstattung in den prekären Wohnsituationen der DDR ausgelöst werden. Dabei beschreibt der Autor Kurt David ohnehin nur das allerorts übliche Behelf einer in die Küche gestellten Zinkwanne, die das Badewasser aus Töpfen vom Herd bezog. Der minderjährige Heinz kommentiert mit seiner Knabenstimme ironisch despektierlich das rituelle Badeprivileg des Vaters. Dass Mutter und Kind das wertvolle Warmwasser des gebadeten Familienoberhaupts gemeinhin meist nachzunutzen hatten, ist taktvollerweise kein Gegenstand der sieben, meist Mittwoch abends 20 Uhr gesendeten Teile von jeweils ca. 25 Minuten Länge in der Regie von Klaus Gendries.
Matthias Thalheim

Minderjährige Größe – Fernsehvergnügen mit Kurt Davids „Freitags wird gebadet“ (1)

02.06.2023

"Wir sind so, wie Ihr uns werden lasst; wir können aber nicht so sein, wie Ihr wart!" Als ich diese enorme Mottozeile von Kurt David zum ersten Mal hörte, war ich ein Kind, aber dennoch sofort von ihr begeistert – so sehr sprach sie mir aus dem Herzen. Der niederschlesische Autor Kurt David (1924-94) hatte dieses Kinder-Credo dem zwölfjährigen Heinz auf die Zunge bzw. in seine Feder gelegt. Heinz ist der Tagebuch schreibende Hauptheld des Erzählungsbands, der 1964 im Eulenspiegel-Verlag erschienen und schon ein Jahr später im DFF auf dem Bildschirm zu sehen war. Die durchaus brüchige Welt ostdeutscher Nachkriegswirklichkeit, die sich Sozialismus nannte, aus dem Blickwinkel eines halbwüchsigen Jungen dargestellt – diese Darstellungsart hatte bereits damals erstaunlich realistische und auch humorvolle Werke hervorgebracht. Von Erwin Strittmatters „Tinko“ (1954) bis Gerhard Holtz-Baumerts „Alfons Zitterbacke“ (1958).
Matthias Thalheim

Erlösung aus dem Grau: Rot-Grün-Blau – Farbfernsehen für den DFF (5)

19.03.2023

In der Anfangszeit bleibt der Farbanteil des DFF mit vier Stunden aufs Wochenende begrenzt; ausschließlich im 2. Programm, das 21 Stunden pro Woche im UHF-Bereich ausgestrahlt wird. Das 1. Programm bietet 85 Wochenstunden und beginnt ab 1973 ebenfalls in Farbe zu senden. Was die Studiotechnik-Enthusiasten der Deutschen Post dem Publikum bieten, ist verblüffend: Der Stereoton, der in der DDR auf Schallplatten seit 1962 zur Verfügung steht und ab Mitte der 60er Jahre auch für den UKW-Hörfunk eingeführt wird, soll herausragende Farb-Programme begleiten. Dann wird der Raumton zum Farbbild simultan auf Radio DDR für Stereoradios übertragen. So am Sonnabend, dem 14.2.1970 für ein musikalisches Doppelporträt der Städte Dresden und Leningrad und am 2.5.1970 für die Farbübertragung der zweieinhalbstündigen Unterhaltungsgala „Mit dem Herzen dabei“ mit Spielmeister Hans-Georg Ponesky live aus dem Dresdner Kulturpalast.
Matthias Thalheim

Erlösung aus dem Grau: Rot-Grün-Blau – Farbfernsehen für den DFF (4)

18.03.2023

Wenn es nicht schwarz auf weiß im MfS/SED Geheimpapier vom Mai 1968 überliefert wäre, hielte man es für einen schlechten Witz: 18 Monate vor Sendebeginn hat die UdSSR der DDR ganze fünf (!) Muster-Farbbildröhren zur Verfügung gestellt, die in Farbreinheit allesamt unter internationalen Parametern liegen. Dass es Technikern, Fernsehleuten und Geräteherstellern dennoch gelingt, bis zum 3.10.1969 das 2. Programm mit Farbübertragungen in Betrieb zu nehmen und einen DDR-Farbfernseher in den Handel zu bringen, ist eine enorme Meisterleistung des Ostens. Als es in der Bundesrepublik nur Farbgeräte mit Elekronenröhren gibt, bringt die DDR mit dem „Color 20“ das erste (bis auf die russische Bildröhre) volltransistorisierte Farbgerät auf den Markt. In Dresden entwickelt, in Staßfurt gebaut. Zum stolzen Preis von 3.700 Mark. Der russische „Raduga“ ist für 3.000 M zu haben, löst aber im Defektfall Wohnungsbrände aus.
Matthias Thalheim

Raus aus dem Grau: Rot-Grün-Blau – Farbfernsehen für den DFF (3)

17.03.2023

Am 22.12.1966 beschließt der Ministerrat der DDR das französische System SECAM III, auf dessen Basis ab 1973 in einem 2. Programm Farbsendungen beginnen sollen. Dann wird die Farbeinführung der ARD bekannt: 25.8.1967 auf der IFA in West-Berlin. Noch im selben Jahr, am 6.12., revidiert Stophs Ministerrat den bisherigen Beschluss. Statt in 6 Jahren soll nun in 21 Monaten das 2. Programm in Farbe starten: Am 3. Oktober 1969! Ein Höllenritt: Woher Studio- und Sendekomplexe nehmen? Woher Kameras, MAZ- und Ü-Technik? Woher Farbbildröhren für Heimgeräte? Wer kann sie bezahlen? Wie eine Fernsehzeitung in Farbe stemmen? Woher die Kapazität für zusätzliche Sendestunden? Am 10.5.1968 schickt das MfS eine geheime Probleminformation zum Farbfernsehens an das Politbüromitglied Werner Lamberz. Darin werden die SECAM-Mängel dargestellt, die das Projekt von französischer und sowjetischer Seite bedrohen und das Chaos des Zeitdrucks.
Matthias Thalheim

Raus aus dem Grau: Rot-Grün-Blau – Farbfernsehen für den DFF (2)

16.03.2023

Farbfernsehen für Europa ist eine Kriminalgeschichte - ingenieurstechnisch und vor allem auf Königsebene. Und bei den Intriganten des Kalten Krieges. Die Deutsche Post der DDR startet 1959 Forschungen zum Farbfernsehen und favorisiert bald das PAL-System. Neben Vorteilen im Studiobetrieb sichert es, dass die für Westdeutschland gedachten Sendungen des DFF auch weiter dort empfangbar bleiben. Sogar der RGW räumt der DDR diese politische Ausnahmestellung ein. Für das französische SECAM-System, das in Westeuropa keine Lobby hat, zieht Ministerpräsident Pompidou in den Kampf und bietet dem sowjetischen Ministerpräsidenten Kossygin Sonderkonditionen. Der wiederum gibt per Telefon Willi Stoph in Ost-Berlin den Ukas für SECAM. Ulbrichts Stuhlbein-Säger Honecker reibt sich die Hände, weil damit Walters Politik einer gesamtdeutschen Konföderation einen schweren Hieb abkriegt. Sieg der Abgrenzungspolitiker in Ost und West.
Matthias Thalheim

Raus aus dem Grau: Rot-Grün-Blau – Farbfernsehen für den DFF (1)

15.03.2023

In der heutigen mit Buntheit überfluteten Medienwelt ist das Faszinosum eines farbigen Diapositivs oder Kinofilms nicht mehr ermessbar. Und auch der Farb-Ehrgeiz der vormaligen Herrscher nicht. Mit „Buntfilm“ glaubt man, die Massen hinter sich zu bekommen. Deshalb scheut die UFA keine Kosten, den farbfilmversessenen Herren Goebbels und Hitler 1941 den ersten Kinofilm auf AGFA-Color zu liefern. Deshalb will Leonid Breschnew den Bürgern der UdSSR im November 1967 zum 50. Jahrestag der Oktoberrevolution das Farbfernsehen bieten. Daher freut sich Willy Brandt, den roten Attrappe-Farbe-Knopf bereits im August 1967 auf der Internationale Funkausstellung in „seinem“ West-Berlin drücken zu können. Als zwei Jahre später Walter Ulbricht am 3.10.1969 zu „20 Jahre DDR“ das 2. Programm des DFF in Farbe startet, ist sein eigentlicher Erfolg der neue Fernsehturm. Das von Moskau befohlene französische Farbsystem SECAM ist es nicht.
Matthias Thalheim

Konverter, Koaxkabel, UHF – Die Technik-Schlacht ums ZDF macht das Treiben verrückt (3)

07.03.2023

Experten des Post und Fernmeldewesens wissen, dass die Anfang der 60er Jahre erreichte hohe Dichte des Sendernetzes in DDR und CSSR keine zusätzlichen Fernseh-Sender im VHF-Bereich zulässt. Man wird also auch im Osten für die Fernsehversorgung bald neue Kanäle im UHF-Bereich erschließen und die nötigen Konverter anbieten müssen. Gerade auch für die Täler der grenznahen Gebiete in Erzgebirge, Thüringer Wald, Rhön oder Harz, wo man das Adlershofer Fernsehen bislang gar nicht oder nur sehr schlecht empfangen kann. Vielerorts sind deshalb kleinere Füllsender vorbereitet, die man eigentlich 1967 in Betrieb nehmen will. Da dies aber UHF-Kanäle betrifft, entscheidet sich die SED-Führung dagegen, weil mit den nötigen Konvertern auch das ZDF empfangbar wäre. Man zögert den offiziellen Verkauf von UHF-Konvertern in der DDR bis zum Äußersten hinaus. Bis August 1969, wenige Wochen vor dem Start des II. Programms des DFF.
Matthias Thalheim

Konverter, Koaxkabel, UHF – Die Technik-Schlacht ums ZDF macht das Treiben verrückt (2)

06.03.2023

Ohne Konverter kein ZDF! Keine „Mainzelmännchen“, kein „Bonanza“! Selbst in Ost-Berlin nicht, wo der Westen mit der Zimmerantenne empfangbar ist. Ab 1964 strahlt von West-Berlin aus ein 212m hoher Fernmeldeturm nahe der Glienicker Brücke das ZDF auf Kanal 33 ins Umland. Aber den kennen die Ost-Fernseher aus Radeberg und Staßfurt nicht. Bei denen geht es nur bis Kanal 12. Für Kanal 33 braucht es einen Konverter, der ihn auf den empfangbaren Kanal 3 umsetzt. Wer kann, lässt sich dieses Zusatzgerät von der West-Verwandtschaft mitbringen. Schicken geht schief. Auch Eigenbau-Konverter kursieren in der DDR. Unter der Hand! Von Radiobastlern und findigen Werkstätten. Noch scheint die Anzahl der Haushalte mit technischen Voraussetzungen für den ZDF-Empfang gering zu sein. Aber im Sommer 1965 warnt das MfS das SED-Politbüro und weist die Bezirks- und Kreisleitungen an, solche illegalen Hersteller unter Kontrolle zu nehmen.
Matthias Thalheim

Konverter, Koaxkabel, UHF – Die Technik-Schlacht ums ZDF macht das Treiben verrückt (1)

05.03.2023

Gerade hat der Fernsehfreund ächzend die gehobenen Ansprüche seiner Flimmerkiste hingenommen – Dachantenne, Blitzschutz, Flachbandkabel, Fassaden-Halterung, Stanniolpapier, Bananenstecker, dazu den Spannungsregler – da dräut schon neues Ungemach. Gerade gelernt, den schwer aus seinen Rasten zu bewegenden Kanalschalter zwischen West- und Ostfernsehen rattern zu lassen und per Feinabstimmung Schatten wegzudrehen, ereilt den Zuschauer die Kunde, dass das Zweite Deutsche Fernsehen, das ab April 1963 aus Mainz dazukommt und dass die neuen Dritten Programme ab 1963-66 eine weitere, eine UHF-Antenne, benötigen, die ganz andere Zuleitung verlangt – Koaxialkabel – und als elektrisches Zusatzgerät einen Kanal-Konverter. Die zwölf bisherigen Fernsehkanäle werden im Westen mit 18 weiteren aufgestockt – von Kanal 21 bis 39. In der DDR wird dieser UHF-Bereich zunächst für tabu und der Bau von Konvertern als illegal erklärt.
Matthias Thalheim

Als wäre es nicht schwierig genug – die Techniker kommen zur Deutschen Post (2)

02.03.2023

Als wäre es nicht schwierig genug – die Techniker kommen zur Deutschen Post (2)
Dass unter dem Dach einer Anstalt verschiedene Betriebe tätig sind, ist heutzutage üblich. Für die Fernsehleute in Adlershof, die Radiokollegen in der Nalepastraße, in Leipzig, Dresden oder Weimar bleibt die 1956 administrierte Trennung zwischen redaktionell und technisch Tätigen auf Jahrzehnte gewöhnungsbedürftig. Wenn auch nur für Festtage und Auszeichnungen bekommen die Techniker sogar eine Uniform der Deutschen Post. Dazu die Dienstränge: Untersekretär, Oberinspektor oder Amtmann. Wer glaubt, alles Technische sei nun Sache der Post, irrt sich. Scheinwerfer z.B. gehören nicht dazu, bleiben Fernsehsache. Kamera-, Ton- und Schnitttechnik sind Post. Das Führen der Kamera nicht. Das ist Kunst. Es ist absurd, denn die beiden Betriebszugehörigkeiten bedeuten zwei Tarif- und Dienstsysteme. Alltag, Kollegialität und Humor müssen es kitten. Letztlich arbeiten alle gemeinsam an einer Sache – einem möglichst guten Programm.

Als wäre es nicht schwierig genug – die Techniker kommen zur Deutschen Post (1)

01.03.2023

So experimentierfreudig die 50er Jahre im DFF gewesen sein mögen – Karriereehrgeiz und politische Eiferei vor und nach Stalins Tod 1953 machen die Arbeit angesichts offener Grenzen zu einem Gang über schmierseifiges Parkett. Schlimm genug, eingebildete und tatsächliche Bedrohung durch Spionage und Sabotage ertragen zu müssen, kommt unablässiger Strukturwandel dazu. So erwächst aus der Unzufriedenheit mit den technischen Verhältnissen und den zurückbleibenden Kapazitäten in Leitungsnetz und Sendestrahlern ein folgenschwerer Beschluss des Ministerrats: Der Bereich Studiotechnik wird 1956 aus dem Staatlichen Rundfunkkomitee ausgegliedert und dem Ministerium für Post und Fernmeldewesen zugeordnet. Über 1.000 Radio- und Fernsehtechniker werden per 1. Juli Angestellte der Deutschen Post. Das macht die innerbetriebliche Situation weder klarer noch produktiver. Eine personelle Spaltung, die bis zum 31.12.1991 bestehen bleibt.
Matthias Thalheim

Heute bei Krügers – Rätselhafte Legende einer Familienserie (8)

24.02.2023

Krügers finden sich auch im Briefwechsel der mittellosen Schriftsteller Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann. Der schreibt ihr am 8. November 1962 aus dem Schriftstellerheim Petzow: „manchmal unterhalte ich mich ein paar Minuten mit Dr. Weise, einem freundlichen und gescheiten Mann, der – aus Honorargründen – mit der Frau Reinke (...) an 'Familie Krüger' arbeitet. Der Bedauernswerte!“ Und ein Jahr nach Ende der Krüger-Serie im DFF schreibt er am 7. Februar 1964: „Dann waren hier zwei Tage lang ein paar Fernsehleute da, die (...) eine neue Reihe Über-Krüger aushecken, säuisch hoch bezahlt – für zwei Sendungen im Jahr zwölfeinhalb Tausend Mark pro Mann, – und das Ganze wird sicher eine idiotische Konstruktion.“ Zum Glück ist diese zweite Staffel nie produziert worden, Aber die Honorare dürften geflossen sein – zum Beispiel an die von Paul Wiens frisch geschiedene Gattin, „die auch mitkrügert“, wie Pitschmann höhnt.
Matthias Thalheim

Heute bei Krügers – Rätselhafte Legende einer Familienserie (7)

23.02.2023

Weshalb der Ruf dieser frühen Serie Jahrzehnte überdauert, mündet für mich in dem Rätsel, wieso deren hölzernen Sofadebatten meine Oma 1961 zur Anschaffung eines irrsinnig teuren Fernsehers aktivierten? Meine Oma hat jene Krügers zunächst bei ihrer bereits fernsehenden Schneiderin bestaunt und will nun künftig mitreden können. Eben weil es keine Schicksale aus Fürstenhäusern oder fremden Ländern sind. Diese Anna Krüger trägt die nämliche Kittelschütze wie meine Oma und eine ähnliche Frisur. Die Krügers haben zwar so komische Bastmatten hinter ihrem Chaiselongue und eine für den Geschmack meiner Oma grässliche Stehlampe. Aber sie geben ihr moderne Anregungen fürs Leben. Dass Herr Krüger mit dem Parteiabzeichen am Revers über Briefmarkentausch schwafelt, mag auch meine Oma dröge finden, aber dass da eine westfernseh-verirrte Nachbarin tatsächlich das knappe Fewa-Seifenpulver hortet, ist doch wirklich die Höhe, oder?
Matthias Thalheim

Heute bei Krügers – Rätselhafte Legende einer Familienserie (6)

22.02.2023

Seit dem labbrigen „Silvesterpunsch“ schwant den Fernsehleuten, welch 'bleierner Ente' sie drehbuchseitig für die „Krügers“ aufgesessen sind. Heute, wo es keine strenger formatierte Bildschirmkost gibt, als im Bereich der Serie, mutet es abenteuerlich an, dass die 25 Folgen „Krügers“ in ihren Sendelängen zwischen 20 Minuten und eineinhalb Stunden schwanken und nicht durch Wiederholungen popularisiert werden. Deutliche Zeichen für das Schlingern, aus dem dieses Schwerpunkt-Projekt in seiner dreijährigen Laufzeit nie mehr herausfindet. Auch nicht durch den Austausch der Dramaturgin und durch Einsatz von sechs verschiedenen Regisseuren. Da es damals kein Internet mit Datenbanken für Filmschaffende gibt, wird auch nicht erkannt, dass Dr. Gerhard Weise bereits 15 Jahre zuvor zusammen mit Wolfgang Liebeneiner und Joseph Goebbels am Drehbuch des Durchhalte-Schinkens „Das Leben geht weiter“ (UFA 1944/45) geschrieben hat.
Matthias Thalheim

Heute bei Krügers – Rätselhafte Legende einer Familienserie (5)

21.02.2023

Als von Oktober bis Dezember drei Folgen von „Heute bei Krügers“ über die Bildschirme geflimmert sind, kommt zum Jahreswechsel 1960/61 der „Maibowle“ fortsetzende DEFA-Film in die Kinos - „Silvesterpunsch“ sein Titel. Hier nun entblödet sich das Drehbuch-Triumvirat Langosch, Reinke, Dr. Weise in kompletter Hohlheit: Ihre auf 90 Minuten zerdehnte Wettbewerbs-Geschichte zweier Chemiewerksbrigaden – eine ist für Sport, die andere mehr für Kultur – lässt sich selbst durch Heinz Quermann, den „Vier Brummers“, eine winterliche Ferienheimkulisse und Christel Bodenstein mit Eisrevue-Finale nicht retten. Mit diesen dünnen Fetzchen biederen Erzählguts, die das Schöpfergespann parat hat, war nie einer und ist nun erst recht kein weiterer Spielfilm zu machen. Aber könnte man nicht das Arsenal solcher Pseudokonflikte aus der DEFA-Schreibstube dem Fernsehfunk häppchenweise als Familienserie verkaufen..?
Matthias Thalheim

Heute bei Krügers – Rätselhafte Legende einer Familienserie (4)

20.02.2023

Die Familienrezeptur, die in 90 Minuten Kinofilm mit wechselnden Schauplätzen, Situationskomik, AGFA-Color, Tempo, Musik und schönen Außenaufnahmen einigermaßen kurzweilig zu unterhalten vermag, erstarrt im Studio als Fernsehspielfolge, deren Handlung durch Dialoge bewegt werden muss, erschreckend schnell zu öder Langweile. In der Szenerie von Krügers Wohnstube, wo die auf die Couch gefädelten Schauspieler mal aufstehen und zum Aquarium gehen können, um sich dann in einen Sessel zu setzen, hängt alles von den Dialogen ab. Und dann zeigt sich, was die Schreiber auf dem Kasten haben. Ihre bieder hölzernen Agitations-Texte können eine Fernsehstunde zu einer zähen Sache werden lassen. Das reißen dann auch die von der sympathischen Charlotte Küter gespielte Mutter Krüger oder eingestreute Stars nicht heraus. Wenigstens bekommen die ersten sieben Krügers-Folgen einen Sendetag reserviert: Sonntag, mal 12, mal 16 Uhr.
Matthias Thalheim

Heute bei Krügers – Rätselhafte Legende einer Familienserie (3)

19.02.2023

Das Muster für „Heute bei Krügers“ hatten die Dramaturgin und das Schreiber-Duo ein Jahr zuvor an der DEFA-Komödie „Maibowle“ (Regie: Günter Reisch) erprobt. Sie kam stichwortgenau zum 10. Jahrestag der DDR für Ulbrichts Chemieprogramm ins Kino. Im Zentrum keine Familie Krüger, dafür Lehmann. Aber auch ihr Oberhaupt heißt Wilhelm wie Präsident Pieck und ist hier ein Meister in einem Chemiewerk – launig dargestellt von Erich Franz. Regisseur Reisch macht die sozialistische Familienschmonzette mit Ironie und einem satirischen Rahmen erträglich. Schon im sich heroisch gebenden Vorspann säuft jaulend eine Platte mit Wagners Walkürenritt ab, ehe sich ein verhüstelter Betriebsfunkredakteur auf Sächsisch ungeschickt über die Beschallung meldet. Auch die alles glorifizierenden Filmreporter der Aktuellen Kamera werden lächerlich gemacht. Der Film gilt als Erfolg, man glaubt, der Autoren wegen. Dabei waren es Kamera und Regie.
Matthias Thalheim

Erlösung aus dem Grau: Rot-Grün-Blau – Farbfernsehen für den DFF (5)

19.02.2023

In der Anfangszeit bleibt der Farbanteil des DFF mit vier Stunden aufs Wochenende begrenzt; ausschließlich im 2. Programm, das 21 Stunden pro Woche im UHF-Bereich ausgestrahlt wird. Das 1. Programm bietet 85 Wochenstunden und beginnt ab 1973 ebenfalls in Farbe zu senden. Was die Studiotechnik-Enthusiasten der Deutschen Post dem Publikum bieten, ist verblüffend: Der Stereoton, der in der DDR auf Schallplatten seit 1962 zur Verfügung steht und ab Mitte der 60er Jahre auch für den UKW-Hörfunk eingeführt wird, soll herausragende Farb-Programme begleiten. Dann wird der Raumton zum Farbbild simultan auf Radio DDR für Stereoradios übertragen. So am Sonnabend, dem 14.2.1970 für ein musikalisches Doppelporträt der Städte Dresden und Leningrad und am 2.5.1970 für die Farbübertragung der zweieinhalbstündigen Unterhaltungsgala „Mit dem Herzen dabei“ mit Spielmeister Hans-Georg Ponesky live aus dem Dresdner Kulturpalast.
Matthias Thalheim

Heute bei Krügers – Rätselhafte Legende einer Familienserie (2)

18.02.2023

Zum einen scheint es an ausreichendem Programm zu mangeln, um die Pilotserie „Die Vormanns und ihre Freunde“ verlässlich auf einem festen Sendeplatz anzubieten – zum anderen ist der Plan, in Fernsehspielen und -filmen all das zu zeigen, was man nach 10 Jahren DDR gern auf den propagandistischen Geburtstagstisch legen würde, ebenso großspurig zu hoch gehängt wie in Volkswirtschaft und Versorgung. Dafür klingen allen noch die „Zehn Gebote der sozialistischen Moral“ in den Ohren, die Walter Ulbricht 1958 auf dem V. Parteitag der SED ausgerufen hat. Dazu das Überflügeln des westdeutschen Lebensstandards bis 1961. Dies alles einer Familienserie einzutrichtern, sollen für den Fernsehfunk drei Spielfilmexperten der DEFA erledigen: Die Dramaturgin Ilse Langosch und das Autorenduo Dr. Gerhard Weise und Marianne Reinke. Sie betexten die Fernsehfamilie um Anna und Dr. Wilhelm Krüger, die am 2. Oktober 1960 live auf Sendung geht.
Matthias Thalheim

Heute bei Krügers – Rätselhafte Legende einer Familienserie (1)

17.02.2023

Je mehr Erkundigungen man zur ersten Familienserie des DFF einzuholen versucht, desto fragwürdiger wird ihr Legendencharakter als zwischen Oktober 1960 und Juni 1963 ausgestrahlter Mehrteiler. Auf manchen Wunschportalen im Netz wird noch heute nach Wiederholungen verlangt. Aber was soll das für eine Serie gewesen sein - 25 Folgen über 33 Monate? Noch nicht mal eine Folge pro Monat! Ganz klar: Serie ist eine schwierige Domäne. Vor „Heute bei Krügers“ gab es den gescheiterten Versuch: „Die Vormanns und ihre Freunde“. Von vier angekündigten liefen nur zwei Folgen: Mittwoch, 30. Dezember 1959 und Dienstag, 26. Januar 1960. Trotz populärer Spitzen-Besetzung mit Helga Raumer und Walter Richter-Reinick. Die Geschichten hatte der Autor Rudolf Förster im VEB Reifenwerk Fürstenwalde eingesammelt. Thema: „Vom Ich zum Wir!“ Aber wenn schon so ein „packender Stoff“ - warum dann immer an einem anderen Wochentag?
Matthias Thalheim

Fernseh-Pitaval und „Haare hoch!“ – die vorsichtigen Anfänge der Krimi-Reihen (3)

09.12.2022

F.K. Kaul (1906-81) und W. Jupé (1916-85) laufen mit ihren Fernsehpitavals zur Hochform auf. Allein von 1958-60 entstehen 13 Folgen! März 1960 kommt „Der Fall Haarmann“ über den 1924 in Hannover zum Tode verurteilten Massenmörder und Menschenfresser, den die Polizei, weil er ihr Spitzeldienste leistete, fahrlässig jahrelang unverfolgt walten ließ. Mit „Pitaval der Kaiserzeit“, „Weimarer Pitaval“ und „Bonner Pitaval“ brauchen sich die beiden Autoren um Stoffe ihrer bis 1978 laufenden Staffeln nicht zu sorgen. Dagegen bringt das anspruchsvolle Konzept heiterer Krimis mit Zuschauerbeteiligung, von dem „Haare hoch!“ lebt, die Reihe bald ins Stocken. Obwohl mit Günter Kunert (1929-2019) ein origineller Co-Autor dazukommt, ist die monatliche Fortsetzung manuskriptseitig nicht zu schaffen und nach 8 Folgen leider schon im August 1958 zu Ende. Aber dafür startet der DFF in diesem Monat eine neuen Rezeptur: „Blaulicht“.
Matthias Thalheim

Fernseh-Pitaval und „Haare hoch!“ – die vorsichtigen Anfänge der Krimi-Reihen (2)

08.12.2022

Bald wissen die Zuschauer, dass mit „Pitaval“ berühmte Rechtsfälle gemeint sind. Für die eingeschränkten Möglichkeiten eines Fernsehstudios ist der Gerichtssaal ein idealer Schauplatz. Was gibt es Spannenderes als den Verlauf eines dramatisch verdichteten Strafprozesses! Die ersten beiden Sendungen befassen sich mit Mord – im Fall eines Versicherungsbetrugs und auch in Form eines Jagdunfalls, mit dem ein bankrotter Sanitätsrat ans Erbe der Gattin gelangen will. Für „Haare hoch!“ ermitteln zwei Detektive (Gerhard Wollner und Herbert Köfer). Dass sie den Zuschauern als „Mikrofonisten“ der Unterhaltungsgala „Da lacht der Bär“ bekannt sind, gibt ihren Fällen von vornherein eine humorvolle Note. Erstaunlich ist das interaktive Konzept, denn die Detektive wenden sich schlussendlich an die Zuschauer und bitten um Ermittlungshilfe. Das hält die Spannung. Über vier Wochen! Dann wird der Fall in der nächsten Folge aufgelöst.
Matthias Thalheim

Fernseh-Pitaval und „Haare hoch!“ – die vorsichtigen Anfänge der Krimi-Reihen (1)

07.12.2022

Angesichts heutiger Kanäle, die vom Vorabend bis in die Nacht nur noch so von Mord, Raub und Totschlag strotzen, ist schwer vorstellbar, wie zaghaft vor 70 Jahren der Krimi oder gar der Thriller Eingang ins Fernsehen fanden. In der Bundesrepublik aus Sorge vor Nachahmungseffekten - in der DDR ob der Auffassung, dass das Verbrechen auf keinem Fall Teil der sozialistischen Wirklichkeit sei, sondern lediglich eine Hinterlassenschaft der bürgerlichen Gesellschaft. So nimmt es nicht Wunder, dass man Krimis den Fernseh-Zuschauern zunächst vor allem in historischem Gewand bzw. als skurrile Komödie zumuten will. Natürlich nur nach 20 Uhr und keineswegs am Wochenende! Im DFF beginnt das im November 1958 mit der Reihe „Fernseh-Pitaval“, die der Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul und sein Freund, der Schauspieler Walter Jupé, schreiben sowie mit den heiteren Rate-Krimis der Reihe „Haare hoch!“ von Werner Bernhardy.
Matthias Thalheim

Der Edgar-Wallace-Wettlauf zwischen Bildröhre und Leinwand - zwischen Ost und West (2)

28.11.2022

Der von Horst Wendlandts Rialto-Film in West-Berlin produzierte „Zinker“ mit Heinz Drache, Günter Pfitzmann, Eddi Arent, Klaus Kinski u.a. kommt im Sommer 1963 vier Jahre nach dem DFF-“Zinker“ in die Kinos der Bundesrepublik. Und obwohl sich der Wallace-Fernsehstart West mit „Der Hexer“ (SDR 1956) deutlich markiert hat, inszeniert Hans Knötzsch den nämlichen Krimi 1962 mit Martin Flörchinger, Wolf Kaiser, Irmgard Düren und Günther Haack in der DDR für den DFF. Auch Alfred Vohrer, der bei Wendlandts Rialto-Film 14 Wallace-Titel fürs Kino dreht, kann für „Der Hexer“ 1964 mit Stars der ersten Garde aufwarten: Joachim Fuchsberger, Heinz Drache, Siegfried Lowitz, Eddi Arent und René Deltgen. Letzterer darf extra nicht aufs Film-Plakat, um für den finalen Hexer-Auftritt nicht ahnbar zu werden. Wofür diese Heimlichkeit? Wo doch die Bavaria ein Jahr vor der Kinopremiere West ebenfalls „Der Hexer“ gedreht hat – fürs ZDF!
Matthias Thalheim

Wettlauf um Edgar Wallace - Zwischen Fernseher und Leinwand, zwischen Ost und West (1)

27.11.2022

Dass der Wettlauf um Edgar Wallace (1875-1932) im geteilten Deutschland nicht von Adlershof aus zu gewinnen war, lag schon aus Gründen der in Valuta zu zahlenden Senderechte auf der Hand. Der SDR Stuttgart startet am 5. April 1956 im ARD-Programm mit dem Fernsehfilm „Der Hexer“ - einem Titel, den bereits Max Reinhard 1927 als Bearbeitung des Romans „Der Ringer“ in der Regie von Heinz Hilpert nach Deutschland auf die Bühne gebracht hatte. Mit „Der Mann, der seinen Namen änderte“ bringt schließlich auch der DFF fünf Monate nach dem SDR-“Hexer“ seinen ersten Wallace als Komödie mit Karl Kendzia, Evamaria Bath, Heinz Scholz u.a. auf den Bildschirm - Regie: Hans-Joachim Hildebrandt - immerhin zwei Jahre bevor diese Geschichte 1958 dann in einer Version des NWDR zu sehen sein wird. Und Hildebrandt setzt für den DFF 1959 mit „Der Zinker“ nach. Erneut mit H. Scholz, E. Bath sowie mit Jessy Rameik und Fred Ludwig.
Matthias Thalheim

Tele-Lotto 5 aus 35 – Der Charme der Rumpelkammer-Lotterie (10)

10.11.2022

Ein neues Ziehungsgerät glänzt ab 1984 durch eine Spiralröhre aus Ilmenauer Silikatglas, kann aber Durchläufer und Doppeltreffer immer noch nicht ausschließen. 1987 wird der rotierende Trichter aus Jenaer Glas eingeführt, der tatsächlich stets nur eine Gewinnzahlkugel absondert. Tele-Lotto übersteht die Wendewirren; im September 1990 moderiert als erster Bundesbürger der Kabarettist Wolfgang Gruner und am 29. Dezember 1991 Wolfgang Lippert die letzte aus Adlerhof gesendete Ziehung. MDR und ORB versuchen die Sendung zu halten, die Finanzminister der neuen Bundesländer verfügen die Einstellung von 5aus35 per 30. September 1992 zugunsten des westdeutschen 6aus49. Doppelt traurig: Die gnadenlose wirtschaftspolitische Selbstgerechtigkeit der Bundesrepublik und auch die unnötige Preisgabe von Teilen des ursprünglichen Charmes im Spiel mit den Rubriken und der ehedem klug gewählten Aufwertung des Kegelprinzips ...
Matthias Thalheim

Tele-Lotto 5 aus 35 – Der Charme der Rumpelkammer-Lotterie (9)

09.11.2022

In seltenen Fällen geschieht es, dass eine Kugel gleich zwei Kegel umwirft. Solche Doppeltreffer liefern dann zwei Gewinnzahlen. Problematisch ist das nur beim letzten Lauf. Dann gilt, dass die linke der getroffenen Zahlen zum Treffer wird. Die andere wird vom Notar zu einer „Luftnummer“ deklariert. Ein echtes Dilemma ist die zu häufige Wiederkehr bestimmter Zahlen: Bei der 19, weil nicht so schnell neue Kurzkrimis zur Verfügung stehen. Bei der 27 = Singeclub, weil trällernde FDJler in solcher Dichte nerven. So ändert man die 27 auf: „Bei uns zu Gast“. Statt Blauhemden nun Mireille Mathieu und Costa Cordalis. Der letzte Kurzkrimi kommt 1985 zum Einsatz. Auch Kategorien wie „Aus alten Filmen“ oder „Zirkus“ werden in „Unterhaltungsmusik“ und „Sonntagsausflug“ verwandelt. Schließlich wird die Verbindung zwischen Zahl und Rubrik komplett aufgegeben. Die Ausschnitte sollen sich nun auf den jeweiligen Moderator beziehen.
Matthias Thalheim

Tele-Lotto 5 aus 35 – Der Charme der Rumpelkammer-Lotterie (8)

08.11.2022

Die Ziehungen sonntags 19 Uhr beziehen ihre Spannung aus der Hoffnung der Spieler und dem vorgeblichen Live-Status der Sendung. Ein Beleg dafür mögen die sich regelmäßig zutragenden Fehlläufe sein, wenn die Kugel justament durch die Lücke eines bereits umgelegten Kegelmännchens rollt. Dann meldet sich der Ziehungsleiter mit den stereotypen Worten: „Das war ein Durchläufer, bitte noch mal drücken!“ Diese Floskel und die Fehlleistung des Geräts lösen in Millionen Wohnzimmern kollektives Gelächter aus. Das ist eben live, denkt jeder. In Wirklichkeit wird die 25minütige Sendung bereits am jeweiligen Sonntagvormittag aufgezeichnet und läuft abends stets vom MAZ-Band. Die Kategorie „Durchläufer“ scheidet für mindestens zwei Generationen West- von Ostdeutschen. Während erstere nichts damit verbinden, ist sie für letztere ein Schmunzeln wert. Der Durchläufer als Gleichnis eines Scheiterns – wenn man so will, für die ganze DDR.
Matthias Thalheim

Tele-Lotto 5 aus 35 – Der Charme der Rumpelkammer-Lotterie (7)

07.11.2022

Hauptgewinner ist das DDR-Fernsehen mit dem in der Welt einmaligen Unterhaltungsformat, das zu 50% auch Zuschauer mögen, die gar nicht im Tele-Lotto tippen. 600 Millionen Mark Einnahmen bringt Tele-Lotto dem VEB Vereinigte Wettspielbetriebe pro Jahr. Abzüglich der Gewinnausschüttung und Selbstkosten bleiben etwa 100 Millionen Mark übrig, von denen 24 Millionen das Adlershofer Fernsehen bekommt als finanziellen Ausgleich für den Aufwand. Am Ende der DDR steht Tele-Lotto mit 70% an der Nutzungs-Spitze aller Wettspielarten. Das rührt auch von begehrten Sachgewinnen bei Sonderziehungen her: Im April 1978 zum Beispiel 25 PKW Shiguli, 25 PKW Trabant, 50 Farbfernseher Chromat und 500 Schiffsreisen auf dem Dnepr zum Schwarzen Meer. Von 50 Mopeds und 200 Radiorecordern ganz abgesehen. 1984 starten sogar zusätzliche Mittwochsziehungen. Zu sehen im II. Programm 18.50 Uhr mit Susanne Schwab am Drücker. Aber ohne Filmbeiträge.
Matthias Thalheim

Tele-Lotto 5 aus 35 – Der Charme der Rumpelkammer-Lotterie (6)

06.11.2022

Vor 1972 war das sonntägliche Programm zwischen 17 Uhr und dem Wetterbericht 19.25 Uhr eine kaum strukturierte, für manchen recht öde Fläche für „Sport aktuell“. Lediglich 17.50 Uhr die Lotto-Ziehung 6aus49 und 18.50 Uhr das Sandmännchen dazwischen. Da wird Tele-Lotto als Vorabend-Unterhaltung gut angenommen und weniger als Sternstunde für Lottofreaks betrachtet. Letztere wissen, dass das große Geld eher bei 6aus49 zu holen ist, wo bis zu 500.000 Mark zu gewinnen sind. Weil es in der DDR jedoch keine Lotto-Millionäre geben soll, ist die Höchstsumme ohnehin auf eine halben Million gedeckelt. Bei Tele-Lotto gab es einen solchen Hauptgewinn für fünf Richtige nur ein einziges Mal im August 1975. Allerdings zu 2 x 250.000 Mark für zwei Gewinner. In der Regel brachte je nach Quote ein Tele-Lotto-Fünfer zwischen 10.000 und 20.000 Mark, der Vierer zwischen 300 und 600 Mark und ein Dreier zwischen 15 und 25 Mark.
Matthias Thalheim

Tele-Lotto 5 aus 35 – Der Charme der Rumpelkammer-Lotterie (5)

05.11.2022

Die zweite Ziehung moderiert Heinz Quermann, die dritte Horst Lehn; bald stärken Schlagerstars wie Dagmar Frederic, Schauspieler wie Herbert Köfer oder Lutz Jahoda in ständig wechselnder Conference die Anmutung einer Unterhaltungssendung. Das Aufsichts-Duo wechselt selten. Als Ziehungsleiter legendär - die Herren Orlowsky und Rohr, sowie Herzig und Kutzner bei den Notaren. Besonders beliebt ist die Gewinnzahl 19 = Kurzkrimi. Der kann kein Ausschnitt aus Vorhandenem sein, der ist extra neu produziert. Schon am 30. Januar 1972 zum ersten Mal gezogen - noch Schwarz-Weiß gedreht, von Hans-Joachim Preil geschrieben und gespielt. Ein Krimi in fünf Minuten? Nichts Anstößiges für Kinder drin –wie soll das gehen? Doch selbst Rohrkrepierer dieser Pseudothriller finden Liebhaber. Weil jedoch viele Leute ihr Geburtsdatum tippen, sind immer alle Gewinnquoten der Ziehungen, die die Kurzkrimi-19 enthaltenen, enttäuschend niedrig.
Matthias Thalheim

Tele-Lotto 5 aus 35 – Der Charme der Rumpelkammer-Lotterie (4)

04.11.2022

Ab 3. Januar 1972 sind Tippscheine mit den 35 Zahlen erhältlich. Ein Tipp mit 5 Kreuzen kostet 1,- Mark. Noch begreift man nicht, warum „1“ Anekdote sein soll, „9“ Filmspaß und was „22“ mit Oper oder „35“ mit Zirkus zu tun haben? Am 9. Januar, 19 Uhr dann die Premiere mit Wolfgang Reichardt als Moderator. Aus Unterhaltungs- als auch Politiksendungen bekannt, bringt er die nötige Seriosität ein. Das tun auch die Notarin Frau Hermann und Ziehungsleiter Herr Morgner. Per Daumendruck auf einen Hand-Taster mit Kabel startet er die erste Kugel. Im Inneren des Spiralbergs empor gehoben, rollt sie drei Runden abwärts, bis sie aus dem drehenden Kranz der Lotto-Kegel einen umwirft, der die Gewinnzahl auf seinem Rücken offenbart. Reichardt nimmt eine Scheibe dieser Ziffer vom Wandtableau und verliest die rückseitige Ankündigung des nun zu sehenden Archivbeitrags: Bei 26 = Shantys einen Ausschnitt aus „Klock 8 achtern Strom“.
Matthias Thalheim

Tele-Lotto 5 aus 35 – Der Charme der Rumpelkammer-Lotterie (3)

03.11.2022

Ein neues Lotto-Spiel etabliert sich nicht von allein. Schon gar nicht im Sozialismus, der sich kein Wachsen der Glücksspielinstitutionen nachsagen lassen will. Da mögen das Koppeln der Gewinnzahlen an Fernsehgenres, ein putziges Ziehungsgerät und wechselnde prominente Moderatoren eine passable Schau ergeben - aber Glücksspiel soll für die Werktätigen der DDR keine Massenbewegung werden – so sehr die Einnahmen des VEB Vereinigte Wettspielbetriebe für den Staatshaushalt von Bedeutung sind. So wird der passende Kompromiss die Einstellung der seit November 1953 existierenden „Berliner Bärenlotterie 5 aus 90“, die dem „Tele-Lotto“ Platz macht und Kapazitäten für Druck und Bearbeitung einräumt. Juli 1971 kommt das Konzept für das „Unterhaltungsmagazin Tele-Lotto“ erneut in die Adlershofer Intendantenrunde und Honecker nimmt es dann einen Tag vor Heiligabend als Beschlussvorlage auf die Tagesordnung seines Politbüros.
Matthias Thalheim

Tele-Lotto 5 aus 35 – Der Charme der Rumpelkammer-Lotterie (2)

02.11.2022

Hinter dem am 9. Januar 1972, 19 Uhr beginnenden „Tele-Lotto“ könnte man eine Segnung des neuen Herrschers Honecker vermuten, der auf dem VIII. Parteitag im Juni 1971 eine gewisse Langeweile des DFF beklagte und prompt zwei Wochen später den „Polizeiruf 110“ starten lässt. Auch der Versuch, Einbußen der stagnierenden Werbeblöcke der „Tausend Teletips“ zu dämpfen, wäre denkbar. Aber Akten der DFF-Intendanz vermerken bereits fünf Jahre zuvor eine Vorlage der Hauptabteilung Unterhaltung: „Grundidee zur Gestaltung einer neuen Sendereihe 'Tele-Toto' vom 28.6.1967“. Das war zu Ulbrichts Zeiten! Rückgang der Fernsehwerbung war damals nicht in Sicht. Aber notorischer Mangel hatte unter Nutzung von Archivausschnitten durchaus beliebte Sendungen entstehen lassen: „Willi Schwabes Rumpelkammer“ oder „Wünsch Dir was“ bzw. „Wunschbriefkasten“. Warum also nicht eine Lotterie mit Schnipseln aus vorhandenen Sendungen betreiben?
Matthias Thalheim

Tele-Lotto 5 aus 35 – Der Charme der Rumpelkammer-Lotterie (1)

01.11.2022

1,30 Meter hoch ist der kugelspeiende Lotto-Vulkan und hat an seinem Fuß, wo die 35 platten Kegel mit den Rückennummern kreisen, einen Durchmesser von 2 Metern. Das Ziehungsgerät stammt von Werner Dose, Konstrukteur beim Rundfunk- und Fernsehtechnischen Zentralamt Berlin. Pfiffig greift er den Kegelsport als Betriebsmuster für eine gemütliche Zufallsmechanik auf, mit der ab 1972 fünf Zahlen eines ganz neuen Lotto-Gewinnspiels der DDR ermittelt werden. Die allbekannte Spannungsphase einer rollenden Kugel optisch und auch akustisch zu nutzen, bietet für das Fernsehstudio und die fiebernden Zuschauer zu Hause eine geniale emotionale Brücke. Lotto-Ziehung als Sensation des Sonntagsprogramms – das gab es beim DFF bereits seit 10. März 1957. Aber was war der Griff einer Glücksfee in eine Lostrommel gegen diese Holzkugel, die eine Spiralbahn aus glasfaserverstärktem Polyester runterrumpelnd bauchige Männeken umschubst...
Matthias Thalheim

Rolf, Reni und der Einzug ins Paradies– Wolfgang Hübner, Schauspieler und Regisseur (2)

02.10.2022

Von „Rolf und Reni“ entstehen in 13 Jahren 165 Folgen. Wolfgang Hübner nimmt ein zweites Studium auf und wird Regisseur wie sein älterer Bruder Achim (1929-2014). Während jener mit der Produktion von Mehrteilern wie „Dr. Schlüter“ (1965) oder „Ich - Axel Cäsar Springer“ (1968-70) von sich reden macht, widmet sich Wolfgang Märchenfilmen wie „Der Meisterdieb“ (1978) oder„Gevatter Tod“ (1980). Als sich beide Brüder schließlich der Verfilmung von Hans Webers Roman „Einzug ins Paradies“ zuwenden, müssen sie erleben, wie die für 1983 auf 7 Folgen konzipierte Produktion mit Kurt Böwe, Walfriede Schmitt, Eberhard Esche u.a. verboten wird. Die mit einem Wohnneubau verknüpfte Familienserie ist Honecker und seinen Medienwächtern zu kritisch geraten. Nach vier Jahren Protest der Verbände der Schriftsteller und der Fernsehschaffenden wird 1987 die Ursendung abgetrotzt. Im August 1989 strahlt auch die ARD die Serie aus.
Matthias Thalheim

Rolf, Reni und der Einzug ins Paradies – Wolfgang Hübner, Schauspieler und Regisseur (1)

01.10.2022

Handpuppen erweisen sich als beliebte Darsteller für den kleinen Fernsehkasten. Erst recht, wenn sie die Spielleiste der Bühne verlassen und ungefragt in der Welt der Erwachsenen erscheinen. Auf Handpuppen in Augenhöhe zu reagieren, ist nicht jedem Schauspieler gegeben. Einer, der sich dieser Herausforderung stellt, ist der 30jährige Wolfgang Hübner (1931-2017). In einem Ohrensessel sitzend, figuriert er den mit hellem Hemdkragen ausstaffierten Bruder Rolf, dem von der als Handpuppe dargestellten kleinen Schwester Reni Löcher in den Bauch gefragt werden. Gesprochen und geführt wird das stupsnäsige Mädchen mit Pferdeschwanz von Friedgard Kurze (1928-2019), die nicht sichtbar hinter dem Sessel hockt und bereits das Schnatterinchen erschaffen hat. Spielfreude und Charme der figürlichen Asymmetrie machen die Belehrungen erträglicher. Vom April 1961 bis 1974 läuft „Rolf und Reni“. Im Nachmittagsprogramm und auch als Abendgruß.
Matthias Thalheim

t t t - Tausend Tele-Tips: Ostdeutsche Werbung, die Generationen prägte (6)

24.09.2022

Als die Produktion der Werbefilme schließlich selbst zurückgeht, wird 1969 das sonnabendliche „Mini-Kino“ geboren für Zeichentrickreihen wie „Arthur der Engel“ (1969), „Gustav“ (1972/73) oder „Lolek und Bolek“ (1973/74). „Hase und Wolf“ eröffnen 1973 die Farbausstrahlung von „ttt“ im II. Programm. Zu diesem Zeitpunkt bleiben den „Tausend Tele-Tips“ keine drei Jahre Lebenszeit mehr. Am 7. Februar 1976 läuft die letzte Sendung. Ein Jahr zuvor hat der DDR-Ministerrat ein Inland-Werbeverbot verhängt. Das in den Betrieben eingesparte Geld muss ans Finanzministerium abgeführt werden – ein Versuch, die Folgen der Ölpreiskrise von 1973 zu kompensieren. Die Mitarbeiter des Werbefernsehens werden in Ratgeber-Redaktionen versetzt. Die Sonder-Übertragungen der Olympischen Winterspiele aus Innsbruck mögen den Wegfall von „ttt“ kaschieren. Im I. Programm werden sie zunächst mit der polnischen Serie „Der Hengst Karino“ ersetzt.
Matthias Thalheim

 t t t - Tausend Tele-Tips: Ostdeutsche Werbung, die Generationen prägte (5)

23.09.2022

Anfangs sollen die Tele-Tips den Systemvergleich mit dem Kapitalismus bebildern und zeigen, dass auch der Sozialismus mit Küchenmaschinen, Elektro-Rasierern, Kühlschränken, Fotoapparaten, Radio- und Fernsehgeräten aufwarten kann. Welchen Ärger das bei Leuten in Dörfern und mittleren Orten auslöst, scheint in Adlershof keiner zu begreifen. Denn die vollmundig angepriesene Technik ist bestenfalls in Bezirksstädten oder der Hauptstadt erhältlich; wenn überhaupt! Das meiste davon geht in den Export. Bald spielen die Tipps für Arbeitsschutz und gesunde Ernährung eine stärkere Rolle. Der im DFF bereits bekannte Fischkoch Rudolph Kroboth (1920-86) bekommt ab 1965 einen regelmäßigen Drei-Minuten-Auftritt in den „ttt“. Der aus Böhmen stammende Werbeleiter des VEB Fischkombinat Rostock stellt sich dazu selber an den Herd. Über 600 Mal, bis Dezember 1972. Die internationalen Fangrechte ändern sich, und Seefisch wird knapper.
Matthias Thalheim

t t t - Tausend Tele-Tips: Ostdeutsche Werbung, die Generationen prägte (4)

22.09.2022

Große VEBs wollen ihre Erzeugnisse in „ttt“ mit DDR-Stars bewerben; mit Komikern wie Hans Hick, Gerd E. Schäfer, Eberhard Cohrs, Rolf Herricht oder den Vier Brummers. Denen winken keine hochdotierten Generalverträge mit jährlichen Apanagen, bestenfalls ein Drehtag-Honorar mit Aufschlag. Solch aufwändige Streifen laufen auch in der Kinowerbung: Eberhard Cohrs, der als Petrus im Wolkenhimmel sächsische Wetteranweisungen gibt: „Genoveva, mache mal den Sonnenhebel runter!" Denn: „Zum Sonnenbad nimm ELKASAT!“ Oder Rolf Herricht 1967 als Filmregisseur, der für den Dreh mit einem Mannequin im D-Zug-Abteil die QUARTA-Pralinentafel vermisst und den Requisiteur tadelt. Auftraggeber: Thüringer Schokoladenwerk. Auch private Firmen werben: „KOMET-Speiseeispulver!“ Nicht nur um Produkte geht es, sondern auch um Reparaturdienste, Rat zu Gesundheit und Küche: „Nimm ein Ei mehr! - KiM“: Kombinat industrielle Mast.
Matthias Thalheim

t t t - Tausend Tele-Tips: Ostdeutsche Werbung, die Generationen prägte (3)

21.09.2022

Das Erstaunlichste ist für Zuschauer nicht erkennbar: Das Wunder, dass in einem Staat, der seit 1949 allen Werbeagenturen, privaten Grafik- und Filmateliers den Hahn abdreht, die Produktion vielfältiger Werbeformate überhaupt aktivierbar ist. Dem DEFA-Dokfilmstudio sind Werbefilme unter seiner Würde. Andere Filmfirmen haben keine Zulassung. Es dauert, bis DEWAG, Freiberufler und Kleinstudios eine schmale Produktionsbasis bekommen. Der an „ttt“ interessierte DFF kommt Werbekunden mit günstigen Sendetarifen entgegen: Mo-Fr vor 19 Uhr sind pro Filmmeter 35,- und nach 19 Uhr 50,- Mark zu zahlen. Ein 30 Sekunden-Streifen entspricht ca. 15 Metern, pro Sendung also 525,- bzw. 750,- Mark. Zur Leipziger Messe oder vor Weihnachten mehr. Ab 1969 auch im II. Programm. Das eigentlich Teure ist die Herstellung der Filme: Je nach Aufwand (Trickanteil, Musik, Darsteller) für 20 Sekunden Schwarz/Weiß: 5.000,- bis 8.000,- Mark.
Matthias Thalheim

 t t t - Tausend Tele-Tips: Ostdeutsche Werbung, die Generationen prägte (2)

20.09.2022

 t t t - Tausend Tele-Tips: Ostdeutsche Werbung, die Generationen prägte (2)
Comicartiges und freche Sprüche haben Seltenheitswert im Ostalltag, der langsam nur die Nachkriegsarmut überwindet. Die Sende-Nähe zum Sandmännchen bringen Witz und Werbung zur ganzen Familie. Zum Beispiel den Trickspot: Sie und Er vorm Fernseher mit Bildstörung. Er drischt auf den Kasten, holt ein Beil aus dem Keller und hackt ihn zu Kleinholz. Dabei wäre die Lösung ein Spannungsregler gewesen! Verse wie „Stets dienstbereit zu Ihrem Wohl/ ist immer der MINOL-Pirol!“ oder die Verkehrserziehung: „Ein Bier, ein Schnaps. Ein Schnaps, ein Bier./ Kraftgefühl! Wer kann mir?/ Kein Pflichtgefühl, kein Augenmaß,/ stark enthemmt, feste Gas!/ Kurve rechts, Kurve links./ Dann ein Baum./ Aus der Traum!/ Rettungswagen, Polizei -/ Krankenlager, Schererei./ Alkohol getrunken - Unglück im Nu./ Bedenke vorher: Den Schaden hast Du!“ Und für jedermann nachsingbar: „Baden mit Ba-du-san!“ oder: „A-K-A Elektrik – In jedem Haus zu Hause!“
Matthias Thalheim

t t t - Tausend Tele-Tips: Ostdeutsche Werbung, die Generationen prägte (1)

19.09.2022

Es beginnt am Montag, dem 1. Juni 1959 um 19 Uhr mit den wöchentlichen „Notizen für den Einkauf“. Daraus werden im März 1960 „Tinas tausend Tips“. Denn anfänglich führt eine Sprecherin durch die 30minütige Sendung mit den noch wenigen Werbefilmen. Sie empfängt Gäste in der Studiokulisse und stellt Quizfragen. Im April 1960 wechseln die nun „Tausend Tele-Tips“, die schnell Beliebtheit erlangt haben, mit dem Signum „ttt“ ins Wochenende. Die immer öfter mit Zeichen-, Flachfiguren- und Puppentrickfilmen versehenen Reklamestreifen sind mit ihren originellen Versen nicht nur informativ, sondern auch unterhaltsam. Erfrischend, wie gerade die aufklärerischen Inhalte zu gesunder Lebensweise, Unfall- oder Arbeitsschutz mit Mitteln des schwarzen Humors und Sarkasmus daherkommen. Hier ergibt die örtliche Nähe des Auftraggebers Deutsches Hygiene Museum Dresden zum dortigen DEFA-Trickfilmstudio eine fruchtbare Symbiose.
Matthias Thalheim

Die Rundfunkgebühr der Teilnehmer und der Finanzbedarf für Radio/Fernsehen der DDR

10.09.2022

Bei den Hörfunkgebühren übernimmt die DDR die seit 1924 in Deutschland übliche monatliche Beitragshöhe von 2 Mark. Kommt ein Fernsehgerät dazu, verlangt der gebühreneinziehende Post-Zeitungsvertrieb 7 Mark. Und wer ab 1969 das II. Programm empfängt, zahlt 10 Mark. Mit Autoradio zusammen eine Höchstgebühr von 10,50 Mark. Dazu immer 5 Pfennige Kulturabgabe. Rentner, Studenten und Schwerstbeschädigte sind befreit. Die Gesamteinnahmen der Hörfunk/Fernseh-Gebühren liegen bei ca. 500 Mio. Mark im Jahr. Damit werden über 70% der fürs Radio-/Fernsehprogramm und Sendetechnik nötigen 700 Mio. Mark gedeckt. Die restlichen 200 Mio. müssen vom Staat zugeschustert werden. Das in der DDR von 1960 bis 1976 existierende Werbefernsehen „Tausend Tele-Tips“ erreicht in seinen Spitzenjahren Umsätze von ca. 8 Mio. Mark. Jährlich 24 Mio. anteilige Erträge fürs Fernsehen erbringt das im Januar 1972 eingeführte „Tele-Lotto - 5 aus 35“.
Matthias Thalheim

Karl-Eduard von Schnitzler kassiert eine Parteistrafe für den „Schwarzen Kanal“ (4)

09.09.2022

Die interne Sonderausstrahlung dieses „Schwarzen Kanals“ voller Dekadenz und Unmoral löst im Politbüro so viel Abscheu aus, dass die Wiederholung im II. Programm verboten und den Genossen Selbmann (44) und Schnitzler (52) die Parteistrafe einer Rüge ausgesprochen wird. Im Protokoll heißt es: „Das Politbüro hält die Sendung für politisch unerträglich, da sie objektiv der westlichen Barberei dient.“ Auch im Westen löst „Das Millionenspiel“ Proteste aus. Auch hier hatten die Zuschauer die Details, die das Fiktionale signalisieren, nicht wahrgenommen. So beginnt die Anmoderation um 20 Uhr mit „Guten Morgen, meine Damen und Herren!“ und bezieht sich in jenem Oktober 1970 auf ein „Gesetz zur aktiven Freizeitgestaltung vom 7.1.1973“ (!). Schockierend auch die vielen Bereitschaftsmeldungen für Gejagte und Todesschützen im Fortsetzungsfalle. Diesem Meisterfilm bleiben deutsche Preise versagt. Er bekommt den PRIX ITALIA 1971.
Matthias Thalheim

Karl-Eduard von Schnitzler kassiert eine Parteistrafe für den „Schwarzen Kanal“ (3)

08.09.2022

An besagtem Montagabend lief ein Film über den expressionistischen Maler Modigliani. Also nichts, was das Politbüro interessiert. Und so war den Mitgliedern auch der „Schwarze Kanal“ im Anschluss entgangen. Wie aber sollen sich die 15 SED-Oberen ein Bild von der durch Lotte Ulbricht inkriminierten Sendung machen? Die existiert nur einem auf 2 Zoll-Videoband. Im ZK-Gebäude war so etwas nicht abspielbar. Die Sitzung zu unterbrechen, damit alle Mitglieder nach Adlershof fahren, um sich dort die Aufzeichnung vorspielen zu lassen, erlaubt die Tagesordnung nicht. Und für 19 Uhr droht die Wiederholung der Sendung im II. Programm! Chefredakteur Selbmann sieht nur eine Lösung: Man strahlt die Aufzeichnung in der offiziellen Sendepause zwischen 13.25 und 15.05 noch einmal aus. Für die davon vertraulich informierten Politbüromitglieder und das Fernsehgerät ihres Sitzungsaales. Aber damit auch für jeden anderen sichtbar.
Matthias Thalheim

Karl-Eduard von Schnitzler kassiert eine Parteistrafe für den „Schwarzen Kanal“ (2)

07.09.2022

Ob Schnitzler das von Wolfgang Menge geschriebene „Millionenspiel“ im Westfernsehen selber verfolgt, ist zweifelhaft, denn an diesem Tag endet in Magdeburg das Manöver „Waffenbrüderschaft 70“. Und den Manöverball hat er sich als Chefkommentator eher nicht entgehen lassen. In Adlershof laufen ja seine Aufzeichnungsgeräte, und Schnitzler kann für seinen „Schwarzen Kanal“ für Montagabend, den 26. Oktober, passende Sequenzen auswählen. Dass der Film ein in die Zukunft verlegtes Science-Fiction-Sujet ist, der Privatfernsehen, Reality-Shows und Sensations-Berichterstattung satirisch beleuchtet, blendet Schnitzler aus. Er präsentiert die dafür extra produzierten frivolen Werbespots für Verhütungsspritzen und potenzsteigerndes Mineralwasser. Die dabei aufblitzenden Busen- und Po-Ansichten der Nacktmodelle, empören Ulbrichts Gattin Lotte (57) so stark, dass sich am folgenden Dienstagmorgen das Politbüro damit befassen muss ...
Matthias Thalheim

Karl-Eduard von Schnitzler kassiert eine Parteistrafe für den ‚Schwarzen Kanal‘ (1)

06.09.2022

Schnitzler nimmt es als Steilvorlage, dass die ARD am Sonntag, dem 18. Oktober 1970, 20 Uhr den vom WDR produzierten Medienthriller „Das Millionenspiel“ ausstrahlt. Für den „Schwarzen Kanal“ ein gefundenes Fressen, anhand dieser Show, in der ein Freiwilliger 1.000.000 DM gewinnt, wenn er eine siebentägige Flucht vor drei bewaffneten Killern überlebt, die Niedertracht des Imperialismus aufzuzeigen. Denn die Menschenjagd wird von Kameras und Reportern verfolgt. Gelingt der tödliche Fangschuss, winken dem Schützen 120.000 DM. Ein von Dieter Thomas Heck moderiertes TV-Spektakel mit Ballett und kommerzieller Produktwerbung gespickt. Schnitzler hält sich mit dem Kommentar zurück, um in seinen 25 Minuten soviel als möglich von diesen Fernsehen-Umtrieben des Bonner Regimes zu entblößen. Vielleicht hofft er, dass die glamourösen West-Einblicke seine Quote heben. Mit vielem rechnet er, nur mit Lotte Ulbricht nicht ...
Matthias Thalheim

Der „Amiga-Cocktail“ schäumt über – Das Vorkommnis vom 17. November 1964 (5)

05.09.2022

„Funk und Fernsehen“, Heft 51/64 publiziert Briefe entsetzter Zuschauer, die die „Schreihälse“ und „Krakeeler“ im Publikum verurteilen und das „Hemmann-Quintett“ kritisieren. In Heft 5/65 auch Stimmen, die das Moderne und Lebendige der Bands loben. Obwohl weiterhin Amiga-Platten produziert werden – der „Amiga-Cocktail“ wird für immer beerdigt. Die Aufzeichnung seiner 12. und letzten Ausgabe wird in Adlershof vernichtet. So soll das skandalöse Ereignis für immer ausgelöscht sein. Damals unbekannt ist: In der Bundesrepublik haben das Gesamtdeutsche Institut und seine Vorläuferorganisationen die Außenstelle des Bundespresseamts in Hannover mit der systematischen Aufzeichnung der DDR-Programme beauftragt. Tausende dieser vom Bildschirm abgefilmten 16mm Rollen und Videokassetten werden 2005 dem Deutschen Rundfunk Archiv (DRA) übergeben. Darunter auch eine Aufzeichnung vom 17.11.1964, die das Vorkommnis dokumentiert.
Matthias Thalheim

Der „Amiga-Cocktail“ schäumt über – Das Vorkommnis vom 17. November 1964 (4)

04.09.2022

Per Plakat und Programmzeitung ist auch Frank Schöbel (21) für den Cocktail angekündigt. Als junger Schlager-Star ist er seit Herbst 1962 beim Erich-Weinert-Ensembles der NVA unter Arbeitsvertrag. Mit „Looky-Looky“ und „Blonder Stern“ hat er brandaktuell zwei gute Titel parat. Chef Quermann will sie unbedingt dabei haben. Ahnt aber nichts von Schöbels „tierischer Angst“, zum ersten Mal vor 3.000 Leuten singen zu sollen. Schöbel hat im November gerade den Pflicht-Grundwehrdienst in Stahnsdorf als Mot.-Schütze angetreten und beschließt krank zu werden, um dem Friedrichstadtpalast zu entkommen. Er spielt barfuß Fußball, isst Zahnpasta, kommt in den Med.-Punkt. Heinz Quermann fährt zum Kommandeur der Einheit. Nein, Schöbel kann nicht. In Wirklichkeit geht es dem schon wieder so lala, dass er an diesem 17. November doch noch singt. Nur nicht in in der Intervisions-Sendung, sondern vor seinen Stahnsdorfer Kameraden.
Matthias Thalheim

Der „Amiga-Cocktail“ schäumt über – Das Vorkommnis vom 17. November 1964 (3)

03.09.2022

Quermann hatte das Katastrophen-Programm selber zusammengestellt: In die Schlager-Gala Gitarren-Gruppen einzubauen, folgte nur dem Platten-Trend. Immerhin hatten sie im Mai 1964 auf dem Deutschlandtreffen für FDJ und das Jugendstudio DT64 viel Reputation eingebracht. Und nun das: Eine aus dem Ruder gelaufene, zusammengepfiffene Original-Übertragung des Rundfunks, des DFF und der Programme der Bruderländer! Elektrogitarren-Beat hatte unter 3.000 Leuten kollektive Verzückung entfacht, einen Massen-Rausch, der sie gegen die Moderatoren rebellieren ließ. Gegen die gesetzte Ordnung. So eine unkontrollierbare Eigendynamik hätte sich auch in Helsinki oder Mailand entwickeln können – in Ost-Berlin und für die SED ist es ein Furor auf ganzer Ebene: Das Ende aller Amiga-Cocktails. Dass selbst nach der Wende weder Heinz Quermann noch Margot Ebert in Memoiren auf die 12 Cocktails Bezug nehmen, zeigt die Tiefe des Schocks.
Matthias Thalheim

Der „Amiga-Cocktail“ schäumt über – Das Vorkommnis vom 17. November 1964 (2)

02.09.2022

Bereits zu Beginn gerät das Publikum in Rage: Volkmar Böhms „Shake hands“ und „Die Sputniks“ mit einem E-Gitarren-Instrumentalstück bringen die Leute zu einem Toben und Pfeifen, wie es die Schlagerbranche bis dato nicht kannte. In einer Lautstärke, gegen die Margot Ebert und Heinz Quermann nicht ankommen. Das „Franke-Echo-Quintett“ mit „Peter Gun“ (Blaulicht-Motiv) und das „Hemmann-Quintett“ mit den deutschsprachigen Beatles-Nummern „Komm gib mir Deine Hand“ und „Sie liebt Dich“ lösen schließlich Ekstase und Überkochen des 3.000 Leute-Saals aus. Das Publikum trotzt Zugaben ab, lässt die Bands nicht gehen. Der folgende Perikles Fotopoulus hat zum Glück einen Titel, den „Die Sputniks“ begleiten. Aber die aus Korsika stammende Vanna Olivieri mit großem Tanzstreichorchester wird übel ausgepfiffen, kann sich nur mit Mühe behaupten. Ein Skandal, der die Fernseh-Zuschauer schockiert. Per Intervision in ganz Osteuropa.
Matthias Thalheim

Der „Amiga-Cocktail“ schäumt über – Das Vorkommnis vom 17. November 1964 (1)

01.09.2022

Ein schnöder Dienstagabend im November 1964 wird zum Waterloo des 43jährigen Heinz Quermann. Dass eine ganze Veranstaltung kollabiert und das Publikum seinem Griff entgleitet – das hat der ausgefuchste Unterhalter noch nie erlebt. Seit sieben Jahren ist der „Amiga-Cocktail“ ein Glanzpunkt seiner Rezeptur. Unter dem Motto „Unsere Schallplattensterne stellen sich vor“ gibt es im Frühjahr und Herbst eine zweistündige Schlager-Gala, die vom VEB Deutsche Schallplatte, vom Berliner Rundfunk, dem DFF und dem Friedrichstadtpalast veranstaltet wird. Am Mikrofon: Margot Ebert und Heinz Quermann, der die Gesamtleitung hat. Immer ausverkauft und original übertragen. Seit 1961 per Intervision in die ČSSR, nach Polen, Ungarn, Bulgarien und Rumänien. Auf dem Programm dieser 12. Ausgabe stehen Helga Brauer, Ruth Brandin, Hartmut Eichler u.a. Aber auch Gruppen wie „Die Sputniks“, das „Franke-Echo-Quintett“ und das „Hemmann-Quintett“...
Matthias Thalheim

Die Natur- und Jagdsendung aus Rostock – Weidmannsheil! (3)

18.08.2022

Die Halbstunden-Folgen belegen, wie das Jagdprivileg von Adel und Aristokratie im Sozialismus in Volkes Hände gegangen ist. An Männer und auch Frauen! Per Volkskammergesetz vom November 1953. Und wiewohl Jagdszenen und das Töten des Wilds auch Zuschauerbeschwerden auslösen, gewinnt die Rostocker Sendereihe an Popularität. Das „Neue Deutschland“ hilft beim Erklären. Als sachkundiger Moderator gibt Konrad Kutzner sein Bestes, die Folgen mit Wissenswertem zu Jagdbrauch, Hornsignalen, Hege und Pflege sowie mit Jägerlatein informativ und unterhaltsam zu gestalten. 1978 bringt er ein Jagdbuch mit Liedern heraus und selbstverständlich spielt auch da die Weidmannssprache eine große Rolle. Laut Kutzner mit über 6000 Ausdrücken. Ausreichend für 26 Jahre, die die Reihe bis 1990 läuft, als die DDR-Bürger erfahren, welch jagdgierige Aristokraten in den SED-Genossen Honecker, Mittag, Mielke, Stoph und Konsorten stecken.
Matthias Thalheim

Die Natur- und Jagdsendung aus Rostock – Weidmannsheil! (2)

17.08.2022

Dass bei diesen vorgeblichen Dokumentar-Berichten sehr viel für die Kamera gestellt und vorher geprobt werden muss, ergibt sich allein aus den damaligen technischen Gegebenheiten: Die 30-Meter-Filmkassetten für die in Dresden gebauten 16mm-Kameras AK 16 und Pentaflex 16 ermöglichen Aufnahmelängen von nur 3 Minuten; elektrischer Motor mit 12V-Akku vorausgesetzt. Beim üblicheren Antrieb über Federwerk sind sogar nur 30 Sekunden (!) am Stück möglich. Da muss jede Einstellung sitzen. Mit dem Moderator Konrad Kutzner, Jägern und Hunden kann man einiges inszenieren. Aber wie probt man mit Schwarzkitteln, Rehböcken und Hasen, auf die geschossen wird? Als Rostock dann eine eigene 16mm Filmentwicklungsanlage bekommt, profitiert vor allem „Weidmannsheil!“ von den Möglichkeiten einer unmittelbaren Ergebnissichtung. Davor mussten alle Filme per D-Zug bzw. Kfz-Kurier nach Adlershof zum Entwickeln und nach Rostock zurück.
Matthias Thalheim

Die Natur- und Jagdsendung aus Rostock – Weidmannsheil! (1)

16.08.2022

Bevor das Ostseestudio die „Hafenbar“ ins Programm bringt, versucht es sich ab Januar 1965 mit einem nicht so glamourösen Angebot: „Weidmannsheil!“. Die Halbstunden-Sendung, die einmal monatlich sonntags 16 Uhr läuft, wird als „forstwirtschaftliche Plauderei“ angekündigt. Offenbar sollen „Jagd“ und „Jäger“ nicht in den Vordergrund geraten. Man hätte so eine Reihe auch eher aus Thüringen oder dem Erzgebirge erwartet - aber für ein „Studio Suhl“ bzw. „Studio Karl-Marx-Stadt“ fehlt es dem DFF an Technik. Die Rostocker bauen an ihrem Ostseestudio und sind froh, „Weidmannsheil!“ außen drehen zu können. Eine Treibjagd wird zur Herausforderung. Das Wild dabei zu filmen ist schwierig. Selbst bei 16mm- statt 35mm-Technik sind Kamera, Akku, Filmkassetten schwerer durch den Winterwald zu schleppen als ein Jagdgewehr. Und die nötigen Teleobjektive verlangen ein Stativ. Wenigstens das ins Horn blasende Jagdkollektiv steht still.
Matthias Thalheim

„Tolle Tage“ – Silvesterschwank in Nachfolge des DEFA-Films „Meine Freundin Sybille“ (3)

04.08.2022

Wirklich „Tolle Tage“ entstehen in Preils Schwank dadurch, dass er als Hauptreiseleiter Eduard Obermüller dem Hauspersonal der „Schneemannbaude“ einen falschen Antrittstermin übermittelt hatte und nun mit Stellvertreter Hurtig=Herricht alle Funktionen selber ausfüllen muss: Portier, Zimmermädchen, Heizer, Koch, Kellner. Die DEFA-Komödie von 1967 und der ihn fortsetzende DFF-Schwank von 1969 sind bei aller Originalität beide etwas langatmig geraten. Die Kreuzfahrtschiff-Geschichte auf dem Schwarzen Meer durch grusinische Landgänge – der 90minütige (!) Silvester-Schwank durch Überfülle an Situationskomik. Dennoch entstanden damit folgenreiche Pilotproduktionen: „Meine Freundin Sybille“ als Blaupause für die Serie „Zur See“ und damit auch fürs ZDF-“Traumschiff“ und „Tolle Tage“ als Grundmuster für sechs weitere Preil-Silvesterschwänke der Reihe „Ferienheim Bergkristall“ (1983-1989) mit Alfred Müller und Willi Scholz.
Matthias Thalheim

„Tolle Tage“ – Silvesterschwank in Nachfolge des DEFA-Films „Meine Freundin Sybille“ (2)

03.08.2022

Preil begreift sofort, was für ein Potential in der Idee steckt, wenn Herrichts Gutmütigkeit ausgenutzt und er als Rolf Hurtig zum Aushilfsreiseleiter gedungen wird und jener sich im Dauer-Duell mit Hauptreiseleiter Obermüller behaupten muss. Preil gewinnt Wolfgang Luderer, den Co-Autor des „Sybille“-Drehbuchs und Regisseur des DEFA-Films für die Regie seines geplanten Schwanks für Silvester 1969. Seit Oktober jenem Jahres sendet der DFF ein 2. Programm in Farbe und giert geradezu nach einem attraktiven Stück. Preil schreibt alle weiteren Rollen beliebten Darstellern auf den Leib: Gerd E. Schäfer, Helga Raumer, Willi Narloch, Heinz Rennhack oder Karin Ugowski. Diesmal ist nicht das in Wismar frisch vom Stapel gelaufene Schwarzmeer-Kreuzfahrtschiff „Ivan Franko“ der Ort des Geschehens - bei Preil ist es das fiktive Ferienheim „Schneemannbaude“ in Katzhütte. So läßt sich alles als Fernsehspiel im Studio aufzeichnen.
Matthias Thalheim

„Tolle Tage“ – Silvesterschwank in Nachfolge des DEFA-Films „Meine Freundin Sybille“ (1)

02.08.2022

Zum Glück lässt sich Hans-Joachim Preil nicht von mieser Kritik beeindrucken, die zum DEFA-Lustspiel „Meine Freundin Sybille“ mit Herricht und ihm 1967 erscheint. Dabei hat die DEFA nichts falsch gemacht. Vier Filme hatte man für Star Rolf Herricht geschrieben. 1964: „Geliebte weiße Maus“, 1965: „Der Reserveheld“, 1966: „Hände hoch oder ich schieße“ und diese Traumschiff-Geschichte mit besagter Sybille. Dass „Hände hoch ...“ den Verboten des 11. SED-Plenums zum Opfer fiel, blieb intern. Aber Branchenleute wissen es. Umso schäbiger die Mäkelei an dieser DEFA-Komödie von 1967, in der er als (Aus-)Hilfsreiseleiter Hurtig agiert und eine Reisegruppe auf Schwarzmeer-Tour mit dem Kreuzfahrtschiff „Ivan Franko“ anführen soll, dabei aber Hauptreiseleiter Obermüller untersteht. Drehbuchautor Rudi Strahl beweist Größe, als er seine Figuren freundlicherweise Kollegen Preil für dessen DFF-Schwank für Silvester 1969 überlässt.
Matthias Thalheim

Europas erste Gymnastik-Reihe kommt vom DFF: „Medizin nach Noten“ (3)

30.07.2022

Mit Ute Polster-Lehmann, Vize-Weltmeisterin im rhythmischen Turnen, vor der Kamera bekommt „Medizin nach Noten“ ab 1972 eine Aufwertung. 1975 bringt LITERA die Langspielplatte „Auf Biegen und Beugen“ mit Gymnastik-Übungen in den Handel. Als die von Jane Fonda präsentierte „Aerobic“-Bewegung 1982 weltweit populär wird und das ZDF 1983 das Format „Enorm in Form“ (Musik: Ralph Siegel) für den Samstagnachmittag entwickelt, zieht die DDR mit der „Popgymnastik“ benannten Ost-Version nach und produziert „Medizin nach Noten“ ab 1985 in Farbe. Nicht mehr im Studio sondern in der Ballspielhalle des Berliner Sport- und Erholungszentrums SEZ mit 120-150 „Popgymnasten“, extra gestalteter Popmusik von AMIGA-Produktionsleiter Wolfgang Kähne und Begleitung durch die Frauen-Zeitschrift „Für Dich“. Nach dem Ende des Fernsehens der DDR im Dezember 1991 findet „Medizin nach Noten“ noch zwei Jahre Asyl beim ORB, dann ist Schluss damit.
Matthias Thalheim

Europas erste Gymnastik-Reihe kommt vom DFF: „Medizin nach Noten“ (2)

29.07.2022

Die Kulisse für die 10minütige Sendung ist ein Wohnzimmer-Ausschnitt mit geöffneter Balkontür vor gemaltem Fassadenhintergrund. Aufgefordert, daheim die Stühle beiseite zu schieben, sieht der Zuschauer auf seinem Schwarz-Weiß-Bildschirm, wie im Fernsehstudio zwischen Stehlampe und Bücherregal zwei junge Frauen zu Klaviermusik und Sprecherstimme die von einer Sportlehrerin ausgewählten Leibesübungen demonstrieren. Unter den ersten Vorturnerinnen sind eine Pädagogikstudentin und eine Krankengymnastin. Mit der frühest möglichen Sendezeit 9.50 Uhr (unmittelbar vor der Wiederholung der „Aktuellen Kamera“ vom Vorabend) erreicht diese späte „Früh“-Gymnastik vor allem nicht berufstätige Frauen und Mütter. Es kommen viele positive Rückmeldungen und Wünsche nach zusätzlichen Ausstrahlungen. Als „Medizin nach Noten“ später auch um 7.45 Uhr und 15.20 Uhr gesendet wird, erweitert sich der Kreis der aktiven Mitmacher deutlich.
Matthias Thalheim

Europas erste Gymnastik-Reihe kommt vom DFF: „Medizin nach Noten“ (1)

28.07.2022

Als der DFF am 1. Oktober 1961, 9.50 Uhr eine Gymnastikreihe beginnt, ist das ein Novum in ganz Europa. Fürs Publikum ist Turnen in der guten Stube indes nichts Neues, denn im Radio gibt es das schon seit Jahrzehnten: Zu rhythmischer Klaviermusik erläutert ein Sprecher die Übungen und gibt die Kommandos. Das Programm des Reichsrundfunks von 1932 vermerkt: „6.10 Uhr: Gymnastik (aus Berlin)“. Nach Kriegsende funkt der Deutschlandsender „Unsere Frühgymnastik“ um 7.17 Uhr, der Berliner Rundfunk schon um 5.50 Uhr und der Mitteldeutsche Rundfunk um 6.30 Uhr. Warum war das Fernsehen, das soviel vom Radio übernahm, erst nach zehn Jahren auf diesen Trichter gekommen? Viel Aufwand braucht eine solche Sendung nicht. Ganz einfach - früh oder vormittags gab es damals gar kein Fernsehen. Der DFF beginnt damit erst 1958. Aber die Adlershofer Fernsehleute haben einen genialen Titel für die Sendeidee mit Gymnastik: „Medizin nach Noten“
Matthias Thalheim

Ein langer Weg ins Charakterfach - Agnes Kraus (1911-1995)

25.07.2022

Brechts Berliner Ensemble war von 1955-76 ihr glücklichstes Engagement. Obwohl sie lauter Witwen-Rollen bekam: Die Witwe Quin in: „Der Held des westlichen Welt“, die Witwe Shin in: "Der gute Mensch von Sezuan“ oder – ihre Lieblingsrolle – die Witwe Niobe Queck in: „Der Brotladen“. Die schnoddrig trockne Art, mit der Agnes Kraus auf der Bühne agierte, begeisterte. Legendär ihr Satz: „Das ist das, was sein Papa gekillt hat!“ in „Held der westlichen Welt“ von J. M. Synge. Die Skurrilität und Direktheit, verhalf ihr auch im DFF nach vielen verschrobenen Nebenrollen schließlich ins komische Charakterfach: „Florentiner 73“ (1972) oder „Schwester Agnes“ (1975) - ganz ihr auf den Leib geschrieben. Um mehr filmen zu können, kündigte sie schweren Herzens am BE. Auch ihre Schwester Rothraut kündigte am Metropoltheater als Requisiteurin und führte – die Filmarbeit unterstützend – den gemeinsamen Haushalt in der Berliner Mellenseestraße 36.
Matthias Thalheim

Ostseestudio Rostock präsentiert ein Markenzeichen: Klock 8, Achtern Strom (6)

20.07.2022

Freilich gibt es auch Leute, die sich weniger für „Klock 8“ begeistern und denen all die Abende, die zwar jedes Mal unter ein anderes Motto gestellt sind, dennoch wie ein und dasselbe „Seetang-Haschee“ anmuten. Dabei werden keine Kosten gescheut, den Hafenbartreffs Feuer einzuhauchen. So zum Beispiel, als mit Rica Déus, Hans Knauer und Horst Köbbert eine „Feuerzangen-Bowle“ zelebriert wird. Barkeeper Knauer zündete mit extralangen Streichhölzern den alkoholgetränkten Zuckerhut an, der quer auf der Bowle liegt. Und obwohl der Zucker zu schmelzen und herabzutropfen beginnt, ruft der Regisseur. „Stopp! Man sieht die Flammen gar nicht, die müssen größer sein. Bitte nochmal!“ Der zu gutwillige Requisiteur schüttet den Sprit gleich aus der Flasche nach. Die Stichflamme schießt Hans Knauer auf Kostüm und Gesicht. Feuerwehrleute rennen kopflos umher. Ein Schlagzeuger rettet die Situation mit dem bereitstehenden Eimer Wasser.
Matthias Thalheim

Ostseestudio Rostock präsentiert ein Markenzeichen: Klock 8, Achtern Strom (5)

19.07.2022

Viele der extra produzierten Shantys verschwinden nach der jeweiligen „Klock 8“-Ausgabe in der Versenkung. Reine Geldverschwendung meint Horst Köbbert und entwickelt fürs Radio die „Liederregatta“ - eine 14tägige Seemannslieder-Hitparade, die 17 Jahre lang läuft. Als er ab Januar 1972 als einer der „Drei Dialektiker“ den „Kessel Buntes“ mitbegründet, bekommt er Kontakt zum Friedrichstadtpalast. Wenn wundert es, dass die Hafenbar 1973/1974 mit „Klock 7, achtern Strom“ ins Revuetheater einzieht. Statt 40 Statisten sind nun 3.000 Zuschauer mit von der Partie. Die Stammbesatzung der Hafenbar ist die engen Studiokulissen gewöhnt. Da werden 30 Meter Bühnenbreite zur Herausforderung. So gern Direktor Wolfgang Struck diese Revue engagiert und inszeniert - dass man damit hartgesottene Berliner zum Schunkeln bringen könne, bezweifelt er. Köbbert wettet dagegen und gewinnt nach jeder Schunkel-Vorstellung eine Flasche Sekt.
Matthias Thalheim

Ostseestudio Rostock präsentiert ein Markenzeichen: Klock 8, Achtern Strom (4)

18.07.2022

Gast-Interpreten bringen ihre Titel mit, das Entree „Klock 8, achtern Strom, wir sind wieder alle hier“ (K.: Gerhard Siebholz, T.: Wolfgang Brandenstein) und der Rausschmeißer „Auf Wiedersehen in Rostock, in Rostock an der Hafenbar“ (K.: Siegfried Schäfer, T.: Dieter Schneider) liegen produziert vor - aber alle andere Musiktitel für die insgesamt 123 Sendungen müssen komponiert, getextet und aufgenommen werden. Allein mit „Rolling home“ und „Aloha-Oë“ hätte man 25 Jahre Hafenbar nicht bestreiten können.Insgesamt 3.500 Playbacks für „Klock 8“ werden produziert. Diese Aufträge haben die Schlager-Branche der DDR enorm belebt. Für Günter Gollaschs und Fips Fleischers Orchester genug zu tun. Für den Gerd-Michaelis-Chor auch. 1969 und 1970 kommen zwei LPs bei AMIGA heraus. Keine leichte Sache – Shantys und maritimes Repertoire zu produzieren, das dem DDR-Bürger nicht so viel Sehnsucht nach den fernen Kontinenten machen soll.
Matthias Thalheim

Ostseestudio Rostock präsentiert ein Markenzeichen: Klock 8, Achtern Strom (3)

17.07.2022

Im Februar 1977 läuft die 50. Folge. Vier bis fünf Ausgaben gibt es pro Jahr. An Themen ist kein Mangel, aber gute Drehbücher für solche Show zu schreiben, ist schwer. Als man vor Ort in Einzeltakes drehen und schneiden kann, wächst der Anspruch, dauert die Herstellung jeweils zehn Studiotage. Inklusive Auf- und Abbau der Kulisse. Fürs Bargetümmel werden immer 40 Komparsen per Ostseezeitung angeworben. Zu internationalen Gästen gehören Nina Lizell und Roger Johnson aus Schweden, Jonny Hill aus Österreich, Ireen Sheer aus Großbritanien oder Hein Timm aus Hamburg. Dazu Interpreten des Ostens - von Regina Thoss, Zsuzsa Koncz, Sandra Mo bis Inka Bause und von Fred Frohberg, Ingo Graf, Siegfried Uhlenbrock bis Thomas Lück. Auch spezielle Gäste wie Rolf Herricht, Dorit Gäbler oder Gojko Mitic. Glamour und Erotik bietet das Fernseh-Ballett mit seinen Solisten. Dazu Shanty-Chöre, Kabarettisten, Zauberkünstler und Artisten.
Matthias Thalheim

Ostseestudio Rostock präsentiert ein Markenzeichen: Klock 8, Achtern Strom (2)

16.07.2022

Der Gastgeber der Hafenbar, Horst Köbbert (1928-2014), stammt aus Warnemünde. Sein Vater war Tauchermeister. Erst 1990 erfährt man, dass Horst Köbbert als HJ-Fähnlein-Führer 1945-48 im sowjetischen Speziallager Fünfeichen bei Neubrandenburg inhaftiert und knapp dem Hungertod entronnen war. Später wird er am Rostocker Konservatorium zum Opern-Bariton ausgebildet. Bei Peter Borgelt (1927-94) stammt die Mutter aus Rostock und legt ihm als Sopranistin so viel Talent in die Wiege, dass er Komponist werden will und am Kamenzer Konservatorium zu studieren beginnt. Über Aushilfsrollen, die sein Vater, Oberspielleiter am Stadttheater Burgstädt/Chemnitz, bietet, kommt Peter Borgelt dann zur Schauspielerei. Als Hausdame der Hafenbar agiert die aparte Sängerin Rica Déus (*1937) - eine Hamburgerin, die die Liebe 1961 in den Osten führte. Der Barkeeper Hans Knauer (1932-2015) ist – welch Realismus – Sachse und stammt aus Leipzig.
Matthias Thalheim

Ostseestudio Rostock präsentiert ein Markenzeichen: Klock 8, Achtern Strom (1)

15.07.2022

Für den dringendsten Bedarf – gute Samstagsabend-Unterhaltung – bietet das 1962 in Betrieb genommene Ostseestudio ab 1966 mit „Klock 8, Achtern Strom“ eine ergiebige Rezeptur. Mit Horst Köbbert und Peter Borgelt treten zwei waschechte Rostocker Künstler vor die Kamera. Soviel maritime Entertainer gibt es im Osten nicht. Später kommt mit Heinz Draehn als „Kuddeldaddeldu“ ein weiterer Rostocker dazu. Anfangs als Übertragung aus dem Kurhaus Warnemünde, wurde die Kulisse der „Tele-Hafenbar“ später stets im Ostseestudio aufgebaut. Die Pilotsendung vom 22.1.66 hieß „Wintersaison“, Opus 2 am 12.11. lief als „Klock 9 ...“ und die Silvesterausgabe unter „Klock 11, Achtern Strom“. Vier Tage wurde für die 70 Sendeminuten geprobt. Jeweils nach vier Stunden mussten die Kameras zwei Stunden abkühlen. Im Juni 1968 zur Ostseewoche läuft schon die 10. Sendung, mit der der DFF der seit 1962 laufenden NDR-„Haifischbar“ Paroli bietet.
Matthias Thalheim

Ein Kind aus Rostocks Wunderzeit – das Ostseestudio in der Tiergartenallee

21.04.2022

Rostock wirkt in den 50er Jahren wie ein Zaubergefäß: Erst wird in Ermangelung eines oberligareifen Fussballclubs 1954 die komplette Elf der BSG Empor Lauter aus dem Erzgebirge an die Warnow zwangsverfrachtet, um Empor Rostock (später Hansa) hochzuhätscheln. Dann zettelt die SED im Februar 1958 ein republikweites Steinesammeln für die Ost-Mole eines neuen Rostocker Überseehafens an, der 1960 eröffnet wird. Schließlich beginnen im Juli 1958 alljährliche Ostseewochen, mit denen Ulbricht der Ostsee zu einem „Meer des Friedens“ verhelfen will. Wen wundert es da, dass die Studiotechnik der Deutschen Post 1958 für den DFF, dem es vorn und hinten an Technik mangelt, nahe des Rostocker Zoos die Immobilie des Parkcafés/Keglerheims „Sport-Palast“ erwirbt, um hier sein erstes Außenstudio aufzubauen. Und tatsächlich wird aus dem umgebauten Festsaal schon am 20.1.59 per Ü-Wagen das Fernsehspiel „Die Marseillaise“ gesendet.
Matthias Thalheim

Bürgerlich damenhaft - schwer einsetzbar: Margot Ebert (4)

16.03.2022

Zu 10 Jahre DFF startet die Berliner Zeitung 1962 die Umfrage „Wen sehen Sie am liebsten auf dem Bildschirm?“ Und Margot Ebert landet nach Rolf Herricht und Willi Schwabe auf Platz Drei! Nach ihr die Herren Oertel und Quermann. Die berechtigte Aversion, die man in der DDR gegen das Star-Unwesen aus den USA hat und dem man mit der Kategorie „Fernsehlieblinge“ etwas entgegenzusetzen sucht, ignoriert fatal die Wechselwirkung, dass zugkräftige Persönlichkeiten auch gemacht werden wollen. Der Adlershofer Unterhaltungs-Heiland heißt inzwischen Hans-Georg Ponesky. Es ist die Leipziger Oper, die Margot Ebert 1967 als Eliza für „My fair Lady“ engagiert und 1974 für Gerd Natschinskis Musical-Uraufführung „Terzett“. Im Fernsehen dauert es ewig, ehe man für sie maßgeschneiderte Rollen – „Schauspielereien“ (1986) – schreiben lässt. Und ihren ersten eigenen „Kessel Buntes“ darf sie im April 1988 präsentieren. Da ist sie 61 Jahre alt.
Matthias Thalheim

Bürgerlich damenhaft - schwer einsetzbar: Margot Ebert (3)

15.03.2022

Auch wenn die kultivierte Margot Ebert für die Darstellung revolutionärer Heldinnen nicht geeignet gilt, will man auf Professionalität, Charme und Verlässlichkeit Ihrer Moderationen nicht verzichten. Und immerhin sichert ihr die geringe Höhe ihres Wuchses den Vorzug, gut an die Seite des nicht hochgewachsenen Unterhaltungs-Zampanò Heinz Quermann zu passen. Margot Ebert hat keine Gönner unter den sich proletarisch gerierenden Wandlitzer Politbürokraten. Und auch nicht bei den Fernsehchefs. Sie möchte keine Karriere in die Adlershofer Leitungsebene machen oder sich von DDR-Prominenz heiraten lassen. Sie hat ihren Ehemann, den an der Volksbühne engagierten Schauspieler Wilfried Ortmann. Sie möchte vielseitige Rollen spielen dürfen, in denen sie ihr ganzes Talent sichtbar machen kann und nicht nur Überleitungstexte sprechen. Wie beliebt sie ist, bezeugt das Publikum, das sie zweimal - 1962 und 1964 - zum Fernsehliebling gekürt.
Matthias Thalheim

Bürgerlich damenhaft - schwer einsetzbar: Margot Ebert (2)

14.03.2022

Margot Ebert war tatsächlich in einem großbürgerlichen Milieu aufgewachsen. Erst in Magdeburg, auch in Bad Soden, Prag und dann in Hamburg. Tanzausbildung an der dortigen Staatsoper, Abschlussprüfung 1944 in Berlin. Das Kriegsende führt die Familie nach Magdeburg zurück. Ihr Vater wird von den Sowjets interniert und stirbt 1945 mit 52 Jahren im Straflager. Da ist sie 19 Jahre alt. Zwei Jahre später heiratet sie im Magdeburger Dom den jugendlichen Heldendarsteller des ansässigen Schauspielensembles: Wilfried Ortmann. Eine Ehe fürs Leben. Er wirkt bereits ab 1952 beim Adlershofer Versuchsprogramm des Fernsehens mit, sie ab '53. Eine kundige Zeitzeugin. Während andere Fernsehpioniere bei den wenigen, die über erste Fernsehgeräte verfügen, immer nur Grotewohl, Pieck und Ulbricht erwähnen, erfährt man von Margot Ebert, dass auch Künstler wie Wolfgang Langhoff, Ernst Busch und der Maler Otto Nagel dazugehören.
Matthias Thalheim

Bürgerlich damenhaft - schwer einsetzbar: Margot Ebert (1)

13.03.2022

Gerade erst 26 Jahre alt ist die Schauspielerin mit den großen dunklen Augen, die es erträgt, sich ihr Gesicht für Fernsehansagen vor der unzulänglichen Studiokamera von 1952 grünlichgelb schminken zu lassen und die Lippen lilablau. Sie wäre lieber Tänzerin an einem Theater geworden als zum Adlershofer Versuchsprogramm zu gehen, aber mit 1.58m hatte man sie als zu klein fürs Ballett erklärt. Fotogen ist diese Frau. Sehr sogar. Aber fürs Fernsehen des Arbeiter- und Bauernstaates ist die Ebert ob ihrer bürgerlichen Ausstrahlung schwer einsetzbar. Natürlich gibt es auch Rollen aristokratischer Frauen. Aber die sollen dekadent unnahbar wirken. Keineswegs so sympathisch wie die Ebert. Lange glaubt sie, ihr Einstieg als Ansagerin sei der Grund ihrer darstellerischen Einengung. Später hört sie den Quatsch vom Makel ihres damenhaften „atypischen DDR-Aussehens“ wortwörtlich in den Formulierungen ihrer Chefs.
Matthias Thalheim

Das auflagenstärkste Blatt der DDR: FF-Dabei

11.03.2022

Wie vieles in der DDR sind auch die Auflagehöhen der Druckerzeugnisse Geheimsache. Nur Eingeweihte wissen, dass die „FF-Dabei“ die auflagenstärkste Zeitschrift zwischen Kap Arkona und Fichtelberg ist. Mit 1,5 Millionen Exemplaren liegt sie sogar über dem gehätschelten „ND“ (1 Mio). Und trotzdem reicht es vorn und hinten nicht. Ein Abo ist nicht zu kriegen, Kaufexemplare sind am Liefertag ruckzuck weg. Wie bei „Magazin“ und „Mosaik“. Bereits die schwarzweiß gedruckte „FF - Funk und Fernsehen der DDR“, die es seit Oktober 1959 für 30 Pfennige gab, ist eine gefragte, unterhaltsam gemachte Programmzeitschrift gewesen. Als im Oktober 1969 mit Start des 2. Programms und des „Buntfernsehens“ die vierfarbig gedruckte „FF-Dabei“ für 50 Pfennige in den Vertrieb kommt, wächst die Begehrlichkeit ins Unlösbare. Papierknappheit und die in den Vierschichtbetrieb aufgestockte Berliner Druckerei setzen klare Grenzen.
Matthias Thalheim

‚Käpt'n Blaubärs‘ Vorreiter - ‚Kapitän Hein Pöttgen‘ vom DFF

24.02.2022

Ob Frau Puppendoktor Pille oder Kapitän Hein Pöttgen – für solche Protagonisten der Abendgrußgeschichten agieren im DFF gestandene Schauspieler. Schade, dass es die 1965 gestartete Figur des Seemannsgarn spinnenden „Kapitän Hein Pöttgen“, dargestellt von Dieter Perlwitz (1930-2019), nicht bis in die 80er Jahre hinein schafft. Dann hätte man sich sicher seiner noch erinnert, als ab 1991 beim WDR in der „Sendung mit der Maus“ der Erfolg von „Käpt'n Blaubär“ begann. Denn für dessen Flunkereien war der Adlershofer „Hein Pöttgen“ auf seinem Papierfaltdampfer „Traumtüte“ der eigentliche Vorreiter. „Hein Pöttgen“ wusste schon lange vor „Käpt'n Blaubär“, wie man auf dem Nil Krokodile fängt: Man legt für diese neugierigen Reptile ein Telefonbuch aus, bei dessen Lektüre sie einschlafen, um sie dann mit umgekehrtem Fernrohr verkleinert, mit einer Pinzette ganz einfach in eine Streichholzschachtel stecken zu können.
Matthias Thalheim

Das Kunststück für 365 Tage im Jahr – Till Eulenspiegel ist mit von der Partie

23.02.2022

Die Erfinder des Sandmännchens meinen es naiv  – Fernseh-Gegner finden es einfallslos und absurd, dass der allabendliche Auftritt des Puppentrick-Sandmännchens aberwitzigerweise stets vor einem Fernseher landet, der angeschaltet die Abendgrußgeschichten erscheinen lässt. Ob nun bei Familien in einem Plattenneubau, im afrikanischen Dschungel oder bei Frau Holle im Märchen. Die Sandmännchen-Trickfilme bieten mit diversen Vehikeln Abwechslung. Aber für 365 Abende im Jahr Gute-Nacht-Geschichten parat zu haben, ist das eigentliche Kunststück. Unter den regelmäßigen Erzählerfiguren zeigt sich auch Till Eulenspiegel, dargestellt von dem aus Lübeck stammenden Hans Sievers (1931-2012). Er war 1954 in die DDR übergesiedelt, Ende der 70er aber in den Westen zurückgegangen. Da staunte mancher Sandmänncher-Kenner, als dieser Eulenspiegel dann für den NDR zusammen mit Inge Meysel auf den Landungsbrücken von St. Pauli auftauchte.
Matthias Thalheim

Der Star von Unterwellenborn - Dieter Mann (1941-2022)

04.02.2022

Lobenswert die territoriale Verbundenheit des Adlershofer Fernsehens. Jenes solitäre Lustspiel „Ja, so ein Mann bin ich!“, in dem Dieter Mann vom Deutschen Theater 1980 die Hauptrolle spielt, wird in Unterwellenborn (!) aufgezeichnet. Mann hat Hans-Joachim Preil beim Dreh des Brecht-Films „Die Rache des Kapitän Mitchell“ kennengelernt und ihm seine Lust auf eine Schwankrolle gestanden. Preil hat sie parat. Man probt in Berlin, Dekorationen werden nach Thüringen gebracht, dort sind alle Karten ausverkauft, Hotels für das Team bestellt. Da zieht sich Karin Ugowski bei Glatteis einen Bänderriss und ein Gipsbein zu. Also Umbesetzen? Dieter Manns Veto aus künstlerischen wie auch psychologischen Gründen hat Gewicht. Alles wird um Monate bis zu Ugowskis Genesung verschoben. Ein Riesenerfolg. Wegen Lacher und Applaus 14 Minuten länger als gedacht! Und Dieter Mann, der 1981 mit Preil den „Kessel“ moderiert, wird Fernsehliebling.
Matthias Thalheim

Schwerstarbeit Silvesterrevue – Messehalle 17 , Leipzig, Oktober 1965  (2)

30.01.2022

Diesmal hat der Regisseur die Komparsen an der Leipziger Uni ausgewählt. Aber selbst für die jungen Leute braucht es ein Sonderkontingent von 600 MDN für alkoholische Getränke, um sie an diesem Vormittag im Oktober in Silvester-Stimmung zu bringen. Achtung Aufzeichnung! Papierschlangen, Luftballons, Konfettiregen aufs Orchester Alfons Wonneberg, die Schlagersängerin Petra Böttcher und den Weststar Trude Herr mit ihren Twist: „Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann!“. Doch dann ein lautes „Stopp!“ aus dem Ü-Wagen. Die Richtfunkstrecke nach Adlershof zu den MAZ-Maschinen ist abgestürzt. Das Ganze von vorn! Entsetzte Gesichter! Nach sechs Stunden ist alles im Kasten und Unterhaltungschef Heinz Quermann glücklich. Nur die Genossen im Politbüro sind es nicht. Anfang Dezember war ihr 11. Plenum, das überall westliche Dekadenz erblickte. Am 5.1.66 kommt per Leserbrief prompt der bestellte Verriss im „Bauern-Echo“.
Matthias Thalheim

Schwerstarbeit Silvesterrevue – Messehalle 17, Leipzig, Oktober 1965  (1)

29.01.2022

Gutes Silvesterprogramm ist schwer. Regisseur Erwin Leister hat für den 31.12.65 eine Revue geschrieben, in der als Spiel ein Redakteur (Horst Torka) zusammen mit Szenenbildner (Eckart Friedrichson) und Regisseur (Hans-Joachim Preil) vorgeblich die Sendung des Jahres 1966 (!) proben. Dazu Schlager, Ballett und Orchester. Mit diesem kalendarischen Vorlauf bewegt sich die Handlung nah an der Wirklichkeit, denn die 95minütige Show „Keine Angst – nur Probe“ muss bereits am damals noch nicht arbeitsfreien Sonnabend, dem 16.10.1965, früh 9 Uhr beginnend aufgezeichnet werden. Spielort: Halle 17 auf dem Leipziger Messegelände, in der die Bühnenbildner ihrem Affen Zucker geben. Die letzte Silvestersendung war in schlechter Erinnerung, weil die im Saal sitzenden Kollegen des Braunkohlenkombinats Bitterfeld so besoffen waren, dass die Kameraleute nicht mehr wussten, woher sie Zwischenbilder aus dem Publikum kriegen sollten.
Matthias Thalheim  

Das Kunststück, unterhaltsam zu bilden, gelingt – „Sind Sie sicher? „(2)

18.01.2022

So einfach die Rezeptur mit 7 Wissensgebieten in 5 Schwierigkeitsgraden anmutet – jede Frage will mit Filmen / Bildern untersetzt sein. Aufwändig auch, fünf geeignete Kandidaten zu finden. Zur Auswahl werden 120 der Leute, die sich per Brief bewarben, zu einem Test eingeladen und die 10 Besten gekürt. Also für zwei Folgen. „Sind Sie sicher?“ wird in der ersten Hälfte seiner siebenjährigen Existenz noch live gesendet. Einmal pro Monat Mittwoch Abend 20.00 Uhr. Und folgt der in der Ulbricht-Ära propagierten Idee einer gebildeten Nation. Der reife, 47jährige Karl Gass verkörpert 1964 eine sympathische Verbindung von lehrreich und unterhaltsam. Erreicht 83% Sehbeteiligung! Als dann aufgezeichnet wird und die Denkpausen der Kandidaten eingekürzt werden; als man sich weniger Aufwand mit dem Auswählen macht, kündigt Gass 1973. Die später folgende Sendung heißt dann „Schätzen Sie mal“ und passt damit besser zur Honecker-Zeit.
Matthias Thalheim

Keiner wird Millionär – „Sind Sie sicher?“ (1)

17.01.2022

Ob Radio oder Flimmerkiste – Ende der 50er wimmelt es von Quiz-Sendungen. Vom Publikum öde empfunden, in der Presse als einfallslos kritisiert. Umso mutiger vom DFF, einen Neuanfang zu wagen. Sogar Kinostar Günther Simon kommt zum Einsatz. Aber als Spielmeister ohne Erfolg. Erst als man Peter Klemm vom Aktuellen Dienst als Redakteur hinzuzieht, der den Dok-Filmer Karl Gass vorschlägt, greift die Idee, und „Sind Sie sicher?“ gewinnt bald nach dem Start am 29.11.1964 die Gunst der Zuschauer. Gass moderiert kernig, charmant und anspruchsvoll. Jeder Kandidat kann in 7 Gebieten 5 Schwierigkeiten wählen und maximal 35 Punkte erreichen. Offen gestellte Fragen um Musik, Mathematik, Kunst, Chemie, Geschichte, Literatur, Technik. Verbale Antworten sind gefragt. Keine Auswahl-Varianten. Die Latte liegt hoch. 35 Punkte werden in sieben Jahren nie erreicht. Hauptpreis sind 150 Mark als Bücher-Gutschein. Auch für die Zuschauerfrage.
Matthias Thalheim

Die Idee aus Frau Quermanns Küche: Zwischen Frühstück und Gänsebraten (3)

14.01.2022

Die temperamentvolle 30jährige Margot Ebert, die Quermanns Gattin für die Doppel-Conference vorschlug, findet Sympathie. Sie ist Schauspielerin, Magdeburgerin, singt, tanzt und moderiert sehr charmant. Die Rezeptur der Sendung wird ein Erfolgsmodell, das sich rächt. Als Ebert und Quermann 1976 verkünden, dass nach 20 Jahren der Moment erreicht sei, sich davon zu verabschieden, rufen Herren des Politbüros umgehend beim DFF an und geben Anweisung zum Weitermachen. Der Ewigkeitsanspruch ihrer Herrschaft soll auch für die Tannenbaum-Estrade gelten. Sechs Jahre später kracht es so stark zwischen Ebert und Quermann – er hatte eine von ihr geschriebene Nummer als schlecht deklariert und gestrichen – , dass sie hinschmeißt, und er 1984 allein moderieren muss. Wieder melden sich die Regenten und befehlen dem Intendanten Adameck, das Duo zu kitten. 1991 mit der 35. Ausgabe ist tatsächlich Schluss. Wie zuvor in Wandlitz auch.
Matthias Thalheim

Die Idee aus Frau Quermanns Küche: Zwischen Frühstück und Gänsebraten (2)

13.01.2022

Heinz Quermann, der mit seiner inzwischen geehelichten Frau Ruth bei einer Wirtin in Berlin-Treptow in der Moosdorfstraße wohnt, hat die erste Radiomatinee-Veranstaltung von „Zwischen Frühstück und Gänsebraten“, die er mit der Schauspielerin Margot Ebert (1926-2009) moderiert, für den 1. Weihnachtstag, Mittwoch, den 25.12.1957, im Kulturhaus Treptow angesetzt. Praktisch, weil er danach auf kurzem Wege zur ideengebenden Gattin und deren Festmenü eilen kann. Aber er hatte doch tatsächlich völlig vergessen, diese neue Rundfunk-Gala den Fernsehleuten anzubieten. Das wird ihm siedend heiß klar, als er einen Tag vor Heiligabend, am Montag, dem 23.12. (!), aus Adlershof angerufen und nach einer Übertragungsmöglichkeit gefragt wird. Quermann warnt: Saal und Bühne sind nicht besonders groß und bieten kaum Raum für Kameras und zusätzliche Beleuchtung. Aber die Techniker des DFF schaffen das Wunder und übertragen Opus 1 live.
Matthias Thalheim

Die Idee aus Frau Quermanns Küche: Zwischen Frühstück und Gänsebraten (1)

12.01.2022

Noch ist Nachrichtensprecherin Ruth Peter (1927-1994) gar nicht Quermanns offizielle Gattin und er nicht geschieden. Dennoch zieht er 1956 von Leipzig zu ihr nach Berlin, wo sie in wilder Ehe leben. Zu Weihnachten gibt es den ersten Krach, weil er sie mit ewiger Topfguckerei nervt. Er solle sich aus ihrer Küche verkrümeln und lieber über eine Sendung nachdenken, die ihr künftig Ruhe an diesem Vormittag verschaffe. Quermann spottet: Was für ein Unsinn! Wer soll sich denn so etwas ansehen - quasi zwischen Frühstück und Gänsebraten! Na, die ganze Familie, sagt seine Ruth. Mit einem Mal begreift Quermann, was für eine geniale Idee sie ihm hingeschleudert hat und schlägt vor, das Ganze in Doppelmoderation mit ihr zu machen. Aber die kluge Frau lehnt ab und sagt: „Frag doch mal die Margot Ebert. Die passt auf der Bühne viel besser zu Dir!“ So startet ein Jahr darauf 1957 eine Kultsendung, die 35 Mal produziert werden wird.
Matthias Thalheim

„Weg vom Gänsebraten!“ - Eine Bildschirmlegende aus Quermanns vorehelicher Küche

11.01.2022

Die Erweckung dieser Weihnachtssendung geht auf Heinz Quermanns dritte Ehefrau Ruth Peter zurück. Am 1. Feiertag 1956 findet sie seine Anwesenheit beim Vorbereiten des Essens derart nervend, dass sie ihn mit dem Vorschlag aus der Küche komplimentiert, doch künftig zwischen Frühstück und Gänsebraten eine Matinee zu veranstalten. Präsentiert von einem Paar. Der damals noch nicht mit ihr verheiratete Quermann will diese Radiosendung am liebsten mit ihr selber herausbringen. Doch seine Ruth schlägt ihm Margot Ebert für diese Doppel-Conference vor. Die passe doch viel besser zu ihm. Und so geschieht es. Am 23.12.1957 klingelt schließlich Quermanns Telefon und der verschnarchte DFF fragt an, ob er diese Radio-Veranstaltung übermorgen im Kulturhaus Treptow übertragen darf? Zwei Tage zuvor!!! Quermann willigt ein und ein Publikumsrenner hat Bildschirmpremiere, der 35 Mal produziert werden wird. Bis ins Jahr 1991.
Matthias Thalheim

Hans Jacobus und sein Kollegium der wenig streitfreudigen Professoren (2)

10.01.2022

Die Übernahme des Professorenkollegiums war für den DFF auch von Vorteil, weil er keins seiner voll belegten Adlershofer Studios dafür brauchte. Die Runde tagte im Radiofunkhaus in der Nalepastraße. Anfangs noch im Hörspielstudio H 1, später dann im großen Orchester-Sendesaal, wo man für die Kameras ein Bühnenbild mit Großfotos als Hintersetzer aufbaute. Auch stand immer ein Konzertflügel für Zwischenmusiken und zum Demonstrieren von Musikbeispielen bereit. Was zu Zeiten der Sendung (1963-1990) öffentlich unbekannt war: Der in Berlin geborene Hans Jacobus hatte als 15jähriger Junge jüdischer Abstammung 1938 das Glück, mit einem Kindertransport nach London zu entkommen. Später wurde ihm das als SED-Chefredakteur des „Sportechos“ zum Verhängnis. Als Westemigrant geriet er 1953 unter Spionageverdacht, wurde abgesetzt, kam sieben Monate in Untersuchungshaft und wurde zur Bewährung in die Produktion geschickt.
Matthias Thalheim

Hans Jacobus und sein Kollegium der wenig streitfreudigen Professoren (1)

09.01.2022

„Das Professorenkollegium tagt“ war eine am Mittwoch, dem 10. April 1963 gestartete, Live-Diskussion des Berliner Rundfunks, die der DFF ab Sonntag, dem 25. Oktober 1964, fürderhin als Aufzeichnung ausstrahlte. Nun sah man die 10 Professoren am Tisch, vor ihnen Kaffeetassen und an der Stirnseite, den Gesprächsleiter Hans Jacobus, der kein Professor war, sich aber um so professoraler auszudrücken pflegte. Die Handglocke zur Bändigung kam selten nur zum Einsatz, denn die von ihm ausgewählten, eher frommen Hörerfragen, wurden 100 Minuten lang sozialistisch bieder und einvernehmlich abgearbeitet. Dabei saßen originelle Köpfe in der Runde - der aus Böhmen stammende Ökonom Otto Reinhold, der Berliner Pädagoge Helmut Klein, die Romanistin Rita Schober, der Gerichtsmediziner Prokop oder Heinrich Dathe, der Zoologe aus dem Vogtland, der die trockenen Debatten zu erheitern vermochte. Man freute sich über jedes Schmunzeln. 27 Jahre lang.
Matthias Thalheim

Der Bär verlegt sein Lachen von mittwochabends gen Wochenende 

04.01.2022

Eine Unterhaltungsgala wie „Da lacht der Bär“ würde jeder im Sonnabendprogramm vermuten. Aber 28 von insgesamt 46 Ausgaben dieses großen Fernsehabends mit West-Stars wie Vico Torriani, Trude Herr, Bernd Spier oder Roy Black und Ost-Lieblingen wie den Vier Brummers, Eberhard Cohrs oder Bärbel Wachholz liefen zwischen 1955-1965 am vom Hörfunk fest etablierten Mittwochstermin 20.00 Uhr. Nur jeweils am 1. Mai und am 7. Oktober, zum Gründungstag der DDR, wechselte man auf den jeweiligen Wochentag. Erst ab Dezember 1962 gelang es, den „lachenden Bär“ auf den Sonnabend zu verlegen. Da war die Veranstaltung auch längst von der Deutschen Sporthalle an der Karl-Marx-Alle in den alten Friedrichstadt-Palast an der Weidendammer Brücke gewechselt. Da war allerdings auch längst die Berliner Mauer errichtet, und laut Heinz Quermann bestanden die Besucher von Generalprobe und Abendveranstaltung bis dahin zu 80% aus West-Berlinern.
Matthias Thalheim

Herzklopfen für den Mechaniker Frank-Lothar Schöbel aus Leipzig

29.12.2021

Für den 17jährigen Frank-Lothar beginnt es mit einem Auftritt im März 1960 beim „Treffen Junger Talente“ im Leipziger Ringcafé. Er wird unter 250 Bewerbern für den Endausscheid ins Funkhaus Leipzig eingeladen und bekommt tatsächlich ein Schreiben der Redaktion „Herzklopfen kostenlos“, dass er für die Live-Übertragungen am 24.4.1960 um 11 Uhr aus dem HO-Warenhaus Leipzig vorgesehen ist. Die hierzu nötigen Kameraproben werden am 22. und 23.4. ganztägig durchgeführt. Bitte keine ausgesprochen schwarze Anzüge, keine blendendweißen Hemden oder Kleider! Leicht getönte Kleidung bevorzugen. Dann kommt der Musikredakteur auf ihn zu. Schöbels Lied zur Gitarre sei in Ordnung, es gäbe nur noch eine Kleinigkeit zu ändern – den Text. Dass der arme alte Kutscher darin den Kopf über die rasenden Flugzeuge schüttelt, sei nicht gut. In der Änderung wird er von einem Jungen mit dem Traktor überholt, der ihn lachend hupend grüßt.
Matthias Thalheim

„Herzklopfen“-Entdeckungen kostenlos - Vom Produktionsaufwand mal abgesehen

28.12.2021

„Herzklopfen kostenlos!“ bietet neben Schlager- und Vortrags-Talenten auch sehenswerte Magie und Artistik, auf die „Da lacht der Bär“ als Koproduktion mit dem Hörfunk verzichten musste. Mutig und klug ist das Einbeziehen gesanglicher und instrumentaler Klassik. Auch wirken regionale Identifikationsmöglichkeiten, denn die Live-Übertragungen kommen aus Kulturhäusern der gesamten DDR und spiegeln die Auswahl territorialer Vor-Ausscheide. Neben der Pianistin Susanne Grützmann und dem Gewandhaus-Trompeter Karl-Heinz Georgi gehört auch Detlef Klemm, langjähriger Musikalischer Direktor am Friedrichstadt-Palastes, zu den Talenten der DFF-Sendung. Ebenso die späteren TV-Ansagerinnen Ricarda Kaellander oder Monika Unferferth aus Dessau. Und natürlich Schlagerinterpreten wie Chris Doerk, vormals Gebrauchswerberin in Großenhain, Roland Neudert aus Sonneberg, Monika Herz aus dem Oderbruch oder Regina Thoss aus Zwickau.
Matthias Thalheim

Casting-Show ohne Schmähung - „Herzklopfen kostenlos“

27.12.2021

Den Titel „Talentevater“ verdankt Heinz Quermann einer Matinee, die sonntags 11 Uhr aus allen Bezirken junge Laienkünstler vorstellt. Dem Ganzen ist im April 1959 die 1. Bitterfelder Konferenz vorangegangen, eine Autorentagung des Mitteldeutschen Verlages, für die der junge Wismut-Bergmann Werner Bräunig mit „Greif zur Feder, Kumpel!“ das Motto liefert. Ein Impuls, den auch der Zentralrat der FDJ aufnimmt und die „Junge-Talente“-Bewegung startet. Für den DFF eine gute Programmvorlage. Dass man für diese Estrade der Amateure den Star-Conferencier Quermann einsetzt, beruht auch auf der dreijährigen Stilllegung von „Da lacht der Bär“ ab Oktober 1957. Gewohnt mit Profis zu arbeiten, zweifelt Quermann anfangs, ob Nachwuchs eine 90 Minuten-Sendung trägt. Aber die Premiere von „Herzklopfen kostenlos“ am 20.9.1959, live aus Rostock, ist ein voller Erfolg. Die Sendung bleibt bis 1973 im Programm und bietet neue Gesichter.
Matthias Thalheim

Zwei Ü-Wagen aus Cambridge holen den lachenden Radio-Bären auf den Bildschirm

23.12.2021

Zwei Ü-Wagen aus Cambridge holen den lachenden Radio-Bären auf den Bildschirm
Weil es den Radioleuten um Horst Lehn, Rolf Krickow und Heinz Quermann bei „Da lacht der Bär“ tatsächlich aufs Lachen ankommt, wird die neue Sendereihe mit Sketchen und Musik ab September 1953 ein so großer Erfolg, dass auch das Fernsehen partizipieren will. Aber warum sollte der Rundfunk auf 4.500 applaudierende Leute in der Sporthalle an der Stalin-Allee verzichten und seine Gala der Kameratechnik wegen raus in den Adlershofer Sendesaal verfrachten, in den nur 350 Gäste passen? Erst zwei Jahre später hat der DFF zwei in Cambridge georderte Ü-Wagen der Firma PYE zur Verfügung, die eine Übertragung aus der Sporthalle ermöglichen. Die Darmstädter Fernseh AG, eine Tochter des BOSCH-Konzerns, bei der man eigentlich bestellen wollte, hatte sich geweigert, in den Ostblock zu liefern. Am 2. November 1955 endlich läuft der zweistündige Unterhaltungs-Straßenfeger mit den drei Mikrofonisten zum ersten Mal auf dem Bildschirm.
Matthias Thalheim

„Da lacht der Bär“ – Drei Mikrofonisten für „Deutsche an einen Tisch“

22.12.2021

Nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 versucht die SED-Führung durch Zulassen von Satire ein Ventil zum Druckablassen zu schaffen. Mit dem Kabarett DISTEL und den „Stacheltier“-Kurzfilmen der DEFA. Mit mehr Unterhaltung, mit den Pressenovitäten „Wochenpost“, und ab 1954 mit „Magazin“ und “Eulenspiegel“. Aber der Hörfunk soll besonders schnell reagieren. Auf der Ideensuche erinnert sich der Redakteur Rolf Krickow der „drei frohen Gesellen“, die der Reichssender Köln 1934 für eine Samstagssendung installiert hatte: Da agierten der Kölner H. Salcher, der Gevelsberger R. Rauher und der Hamburger K. Wilhelmi für die „Volksgemeinschaft“. Bei „Da lacht der Bär“ führen ab September 1953 „drei Mikrofonisten“ durch den Abend und verkörpern den DDR-Vorschlag „Deutsche an einen Tisch“: Der Kölner Gustav Müller, der West-Berliner Gerhard Wollner (wechselnd mit dem Ost-Berliner Herbert Köfer) und als Sachse Heinz Quermann.
Matthias Thalheim

Zwei auf einen Streich – Quermann startet 1953 „Schlagerrevue“ und „Da lacht der Bär“

21.12.2021

Angesichts von Heinz Quermanns Talenten, seinem Fleiß und Tatendrang nimmt es kaum Wunder, dass er 1953 an zwei aufeinanderfolgenden Tagen gleich zwei Dauerbrenner der deutschen Mediengeschichte auf den Weg bringt: Am Freitag, dem 11. September, aus dem Leipziger Funkhaus die „Schlagerlotterie“, ab 1958 dann: „Schlagerrevue“. Mit 1731 Sendungen bis Dezember 1989! Und am Sonnabend, dem 12. September, – live aus der Sporthalle an der Berliner Stalin-Allee – für den Rundfunk die neue satirische Unterhaltungsrevue „Da lacht der Bär“. Zur öffentlichen Generalprobe kommen bereits 4.500 Leute, abends zur Direktübertragung noch einmal so viele. Die Idee zu dieser Sendung stammt vom Leipziger Redakteur Rolf Krickow (1921-2003). Fips Fleischer komponierte die Titelmelodie, den Liedtext schrieb Heinz Quermann, der zusammen mit dem Kabarettisten Gustav Müller durch die Sendung führt und auch das Buch dafür verfasst hatte.
Matthias Thalheim

Talente-Vater und Chefunterhalter der DDR – Heinz Quermann

20.12.2021

Er gilt als „Talente-Vater“ und ist in „Da lacht der Bär“ jener der drei Mikrofonisten, der für Sachsen stehen soll – dabei entstammt Heinz Quermann (1921-2003) einer Bäckerfamilie aus Hannover. Nach der Lehre in Vaters Backstube und gleichzeitigem Geigen- und Schauspielunterricht legt er mit 18 bei der Reichstheaterkammer Berlin seine Prüfung ab. Doch der Kriegsbeginn verzögert das erste Engagement in Bernburg. Als Conferencier von Bunten Abenden des NSKK (Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps) lernt er Säle, Kapellen und Vortragskünstler kennen. Die sowjetischen Befreier ernennen den 24jährigen Schauspieler in Köthen zum Theaterintendant. Noch vor Hans-Dietrich Genscher tritt Quermann 1946 der LDPD bei. Nach kurzen Ehen mit Hanni Riepenberg und Lilo Laube heiratet er die Fernseh-Ansagerin Ruth Peter (1927-1994) – die Liebe seines Lebens und wichtiges weibliches Korrektiv seiner fürsorglich-despotischen Natur.
Matthias Thalheim

Weltrekord der DDR – der dienstälteste Fernsehchef: Heinz Adameck

17.12.2021

Als Heinz Adameck (1921-2010) im November '89 abtritt, ist er dienstältester Fernsehintendant der Welt. Medienchefs bleiben sonst nur sehr befristet im Amt, sind vom Parteienproporz, von Konzernvorständen und waren früher im Ostblock von den Hierarchen von Moskaus Gnaden abhängig. Die konnten ebenfalls jäh wechseln. Umso erstaunlicher, dass Adameck 35 Jahre bleibt und sogar den Wechsel von Ulbricht auf Honecker überdauert. Im Eichsfeld aufgewachsen, kann er in der Ziegelei, in der sein Vater Saisonarbeiter ist, – Mutter in der Zigarrenfabrik – eine kaufmännische Lehre machen. Mit 19 muss er an die Ostfront, hat Glück, zu einem Trupp zu gehören, der unter einem kriegsmüden Feldwebel zu den Russen überläuft, wo Adameck für das NKFD zu arbeiten beginnt. Mit 30 ist er Kaderleiter beim Rundfunk und passt auf, dass nicht zu viele zum Fernsehen abwandern. Ab 1954 ist er selber ein Abwerber der Radioleute für Adlershof.
Matthias Thalheim

Filmbedarf aus allen Sprachen – Synchronateliers in Johannisthal, Weimar und Leipzig

14.11.2021

Das Programm des DFF kann weder durch Fernsehspiele noch durch Filmaufträge an die DEFA wirklich gedeckt werden. Jene hat immerhin ab 1946 in Berlin-Johannisthal Kapazitäten fürs Synchronisieren ausländischer Filme fortentwickelt. Um nun auch fürs Fernsehen Filme einzudeutschen, werden weitere Synchronateliers in Weimar (1958-85) und Leipzig (1959-90) eröffnet. Berlin war mit Terminen und Besetzungen an Grenzen geraten. In Weimar nutzt man den kleinen Sendesaal des Funkhauses in der Nietzsche-Halle. In Leipzig wird im Reichsgerichtsgebäude die Wohnung des ehemaligen Präsidenten zum Atelier ausgebaut. Die ca. 40 Rollen eines Spielfilms bedürfen vieler Schauspieler, die man nun auch von Dresden, Erfurt, Karl-Marx-Stadt oder Halle einbeziehen kann. So wird die legendäre Sherlock-Holmes-Reihe (USA 1939-46), die 1969 im DFF anläuft, in Weimar synchronisiert. Mit der genialen Holmes-Stimme von Walter Niklaus (1925-2021).
Matthias Thalheim

Graustufenquadrate, Bildkreis und Messton – Testbild und Testprogramm

12.11.2021

Heute, da zig Kanäle per digitalem Signal rund um die Uhr laufen, ist es unvorstellbar, wie sehr man in den ersten Jahren des Fernsehens auf das Testbild und den pfeifenden 1 kHz-Messton angewiesen war, wollte man Antenne und Gerät einrichten. Bewegte Bilder, richtigen Ton gab es ja erst abends. Graustufentreppe und Format füllenden Kreis benötigten die Monteure, um die Bildröhrensteuerung zu justieren. Als der SFB später statt Messton einfach sein Radioprogramm zum Testbild laufen ließ, waren die SED-Agitatoren platt. Im DFF gab es immerhin schon ab 7.10.1958 unter der Rubrik ‚Wir wiederholen für Spätarbeiter‘ auch am Vormittag Mo-Fr, ca. 10-13 Uhr Bildberichte und Filme. Dazu kamen dann ein Jahr später sogenannte Testsendungen mit Spiel- und Kulturfilmen. Das 13-16 Uhr laufende Zusatzangebot war beliebt. Beim Publikum und in der Adlershofer Buchhaltung. Die Kategorie ‚Testprogramm‘ hieß, keine Lizenzen zahlen müssen.
Matthias Thalheim

Kein blauer Brief von den Blauen Blitzen – Carmen-Maja Antonis Bildschirmdebüt

31.10.2021

Auch die Schauspielerin Carmen-Maja Antoni (*1945) findet ihren Brancheneinstieg mit acht, neun Jahren als Kinderdarstellerin. ‚Die blauen Blitze‘ heißt dieses ab 1959 jeweils sonntags live gesendete Pionier-Kabarett. Die drei Pionierhalstücher tragenden Blitze Zick, Zack und Zuck sitzen auf einer Wolke und prangern von da auf alle Schulkinder herabblickend jene an, die den Pionier-Geboten nicht folgen. Mit Spottversen und Moritatengesang. Was lange niemanden aufgefallen war – Carmen-Maja, die den Blitz Zick spielt, ist gar kein Pioniere-Mitglied. Als sie ihre Mutter bittet, eintreten zu dürfen, weil man da so schön basteln könne, kontert jene: „Basteln kannste och zu Hause!“ Erst als die Rolle und die Honorar-Einkünfte für die Familie hinfällig zu werden drohen, willigt die Mutter ein. Immerhin hat das Kind der Familie eins der ersten RAFENA-Fernsehgeräte verdient – einen Dürer! Und der kostet immerhin um die 1400 Mark!
Matthias Thalheim

Bahnhof Puppenstadt und seine Fernweh-Spielzeugeisenbahn

30.10.2021

Eine aufwändige Kindersendung Anfang der 60er Jahre ist Bahnhof Puppenstadt – auf der Idee beruhend, dass lebendig gewordene Puppen und Plüschtiere eines Kindergartens mit der Spielzeug-Eisenbahn auf Reisen gehen. Und da sie von Schauspielern figuriert werden, muss der Bahnhof Kulissen-Größe haben und die Spielbahn samt Waggons richtige Menschen herumkutschieren. Unter den Darstellern: Hans-Edgar Stecher (*1931) als Igel Mäcki, Helga Piur (*1939) als Puppe Bastelinchen oder Horst Torka (1926-2005) als ewig hungriger Bär. Dazu gibt es Verse wie: Jeder kennt des Schaffners Kelle / Damit ist er stets zur Stelle / Und bei Kälte oder Hitze / Trägt er seine rote Mütze. Oder das Auftaktslied: Wir haben eine Eisenbahn / Und die kann richtig fahren / Überall, wohin wir wolln / Und wo wir noch nicht waren. Ein ursprünglich harmloses Motto, das vom Bau der Mauer 1961 konterkariert wird und die Sendung verschwinden lässt.
Matthias Thalheim

Debüt als Förster Grünrock – Der Pittiplatsch-Spieler Heinz Schröder

20.10.2021

Hinter Frau Elster verbarg sich der Puppenspieler Heinz Fülfe (1920-2009), der auch als Zeichner Taddeus Punkt im Abendgruß auftrat, sich bauchrednerisch mit dem Hund Struppi unterhielt und somit ein Bildschirmgesicht hatte. Sogar Heinz Schröder (1928-2009), der Spieler von Bummi, Pittiplatsch, Uhu und Herrn Fuchs, war im Märchenland zu sehen. Unter den ersten Gästen in Meister Nadelöhrs Schneiderstube: als Förster Grünrock. Nur ist das kaum bekannt. Der Sachse Fülfe hatte das jüngere, ihm ebenbürtige Berliner Talent Schröder zum Fernsehen geholt, dem Pitti seinen witzigen Charakter verdankt. Noch unbekannter ist dabei die traurige Vita Schröders, der als Halbwüchsiger im Krieg beide Eltern verlor und alle seine Freunde. Sein Lehrausbilder zum technischen Zeichner hatte Schröder vor dem Flakeinsatz und somit das Leben bewahrt. Nach 1945 schlug sich der Waisenjunge als Fensterputzer und Rangierer durchs Leben.
Matthias Thalheim

Meister Nadelöhr als Hansdampf in allen Gassen - Der Schneider aus dem Märchenland (5)

10.10.2021

Zu den wöchentlichen Nadelöhr-Sendungen – überdies taucht er auch oft im Abendgruß auf – kommen Proben und abendliche Theatervorstellungen. 1956 bis 1960 ist Eckart Friedrichson im Deutschen Theater engagiert und spielt in Inszenierungen von Wolfgang Langhoff u.a. Dazu kommen ungezählte Veranstaltungen landauf landab mit über 40.000 PKW-km pro Jahr. Von Hörspiel und Schallplatte ganz zu schweigen. Friedrichson schont sich nicht. Ein lebensfroher Mann mit eigenem Kopf. Auch in den politischen Anschauungen, aus denen er dann im Darsteller-Ensembles des DFF kein Hehl macht. Er ist Mitglied der LDPD. Ob seiner gewagten Äußerungen, fliegt er schließlich aus dem festen Anstellungsvertrag. Darf auf Honorarbasis weitermachen. So kann man leichter mit Sendestopp drohen. Aber ihn nach 1.200 Sendungen abzusetzen, wagt keiner. Nur der Sensenmann, der ihn im Juni 1976 mit einem tödlichen Herzinfarkt holt; erst 46 Jahre alt.
Matthias Thalheim

Ein Figuren-Konzept mit Weltklasse - Der Schneider aus dem Märchenland (4)

09.10.2021

Nadelöhrs Schneiderstube wird zur erzählerischen Zentrale des DFF-Märchenlandes. Nicht nur durch die Trickfilme, die präsentiert werden – mal durch einen drehenden Schirm, mal via Sternenbeutel des Schneemanns vermittelt und meist per Mattscheibe des Zauberkisten-Fernsehers – auch durch das Figuren-Ensemble: Beginnend bei Bummi, Schnatterinchen, gefolgt vom 1962 ins Spiel kommenden Pittiplatsch, über Mauz und Hoppel, dem Uhu bis zu Frau Elster und Herrn Fuchs. Dieser seit 1956 aufgebaute Figuren-Kreis hat Weltklasse und erobert mit Hand- und Klappmaulpuppen längst vor Sesamstraße (ab 1969) und Muppet Show (ab 1976) das Publikum. Zum Kindertag 1964 erscheint sogar eine Briefmarkenserie von Werner Klemke. Auf der 10 Pfennig-Marke: Nadelöhr mit Kanarienvogel. Für Eckart Friedrichson ein Ritterschlag. Wer schafft das schon – mit 34 Jahren auf eine Briefmarke! Klix, Klex, Stempelbums!, hätte Meister Briefmarke salutiert.
M.Th.

Meister Briefmarke und Handpuppen kommen dazu - Der Schneider aus dem Märchenland (3)

08.10.2021

Ich komme aus dem Märchenland, schnibbel-die-schnabbel-die Scher', bin allen Kindern wohlbekannt und reiste weit umher. Die schönsten Märchen kenne ich und alle, alle Kinder freuen sich, schnibbel-die-schnabbel-die Scher', auf Meister Nadelöhr! So sein Auftrittslied. Darsteller Ekke Friedrichson stiftete virtuos beste Laune, die durchs dicke Bildröhrenglas mühelos zu den Familien drang. Augenzwinkernd konnte er wunderbar auf die Spielpartner eingehen: Am Anfang die lebenden Kararienvögel Zwirnchen und Röllchen. Dann kam der von Heino Winkler (1912-64) gespielte Meister Briefmarke dazu und in Form einer Handpuppe der Bär Bummi, geführt und gesprochen vom Pittelplatsch-Spieler Heinz Schröder (1928-2009). Und im Winter der Schneemann Eimerhut alias Willi Scholz (1930-2003), der draußen vor dem Fenster ausharrte und nur kurz in die Schneiderstube trat, weil sonst die Erwärmung, also das Schmelzen drohte.
M. Th.

Ein Filou aus Wernigerode  -  Der Schneider aus dem Märchenland (2)

07.10.2021

Der 1930 in Wernigerode geborene Friedrichson bringt in die Rolle des Meister Nadelöhr seine ganze Spielfreude ein. In der Familie eines Bauingenieurs war Eckart - mit elf Jahren an Diabetes erkrankt - ein Sorgenkind geworden; musste regelmäßig Insulin spritzen. Zu Kriegsende kaum zu bekommen. Die Familie opfert viele Wertsachen, um das Medikament auf dem Schwarzmarkt zu kriegen. Tapfer seiner Krankheit trotzend, begeistert sich Eckart schon mit 15 fürs Theater. Bei einer Freilicht-Aufführung verspricht er, die noch fehlenden Dekorationsstücke zu beschaffen. Seine Eltern bestellt er weit vor Beginn der Vorstellung ins Theater, damit die Truppe Zeit zum Räumen des Wohnzimmers hat. Verwundert sehen die Eltern dann ihre Möbel auf der Bühne. Aber natürlich auch ihren talentierten Sohn, der am Quedlinburger Theater erste Ausbildung bekommt. Friedrichson ist ein darstellerisches Quecksilber, respektlos und frech.
M. Th.

Zwischen Grimms und Gottfried Keller: Meister Nadelöhr – Der Schneider aus dem Märchenland (1)

06.10.2021

Auch beim Finden einer Leitfigur fürs Kinderprogramm beweist der DFF guten Instinkt. Dem Grimmschen Fundus entleihen sie Das tapfere Schneiderlein. Witzig, mutig, wortgewandt, sympathisch. Mit dem 25jährigen Eckart Friedrichson, der sich an Theatern und bei der DEFA komödiantisch schon bewiesen hat, in einer Idealbesetzung. Am 23.11.1955 beginnt Meister Nadelöhr erzählt Märchen. Ein Schneider, wie aus Kellers Kleider machen Leute entsprungen, sitzt in einer Biedermeierstube auf dem Tisch, erzählt, singt und entlockt seiner Elle Gitarrenklänge. Später kommt ein Handpuppen-Ensemble dazu: Bär, Ente und Kobold. Auf den ersten Blick etwas gestrig, bietet dieses Sujet doch über 21 Jahre weitgehenden Schutz vor agitatorischen Ansprüchen der Pionierorganisation und erzieherischen Zugriff der Volksbildungsministerin. Lediglich den Bären Bummi wechselt man nach zwanzig Jahren in Referenz zur UdSSR gegen einen Mischka aus.
M. Th. 

Toelcke-Krimis – Markenzeichen einer deutschen Fernsehepoche

18.09.2021

Die Sensation: Ein Schauspieler, der schreiben kann und seine eigene Rolle kreiert! Als Detektiv Weber spielt sich Werner Toelcke in die Herzen der Zuschauer. Dr. Günter Kaltofen ist der von ihm geschätzte Dramaturg. Toelcke darf sogar in seiner Heimat Hamburg drehen. Tote reden nicht (1963), Er ging allein (1967), Tod im Preis inbegriffen(1968), Botschafter morden nicht (1971), Ein Mann der sterben muss (1972) - seine Krimis kommen ins Kino, erscheinen als Taschenbuch. Es geht 12 Jahre gut, dann muss Weber sterben. Der Privatdetektiv passt nicht mehr zum Bild der BRD, das man in Adlershof zeigen will. Als Mitglied des dortigen Darstellerensembles bekommt Toelcke kaum noch Rollen, schreibt Romane und reist 1984 nach Schleswig-Holstein aus, wo er der Kinderarztpraxis seiner Frau zur Seite steht. Ab 2012 erlebt er, dass seine DFF-Straßenfeger bei Studio Hamburg auf DVD erscheinen und stirbt 87jährig im Oktober 2017.
M. Th.

Der Schauspieler, der glänzende Detektiv-Krimis schreibt: Werner Toelcke  (1930-2017)

17.09.2021

1930 in Hamburg geboren, kommt er der Bombenangriffe wegen mit seinen Eltern 1943 nach Glauchau, wo er zur Oberschule geht und erste Bühnenauftritte hat. Mit 15 steht der Berufswunsch Schauspieler fest. 1949-52 studiert er in Weimar, Belvedere am Deutschen Theaterinstitut. Es folgen Engagements nach Magdeburg, Erfurt, Dresden, Berlin. Weil die Weihnachtsmärchen so miserabel sind, schreibt Toelcke selber eins: „Peter Petz“. Uraufführung 1956 in Meiningen. Der dortige Dramaturg Ottomar Lang wechselt zum filmhungrigen DFF. Er kennt Toelckes Schreibtalent, lässt nicht locker. Die Mauer hatte Toelcke von seinem geliebten Hamburg abgeschnitten. Und so schreibt er den Zweiteiler „Tote reden nicht“ (1963). Knackiger Dialog, spannender Plot. Wie bei R. Chandler und D. Hammet. Eine Idealgestalt ist geboren: Weber - ein Kriminalassistent, der Privatdetektiv wird. In Hamburg. Die Rolle schreibt sich Toelcke auf den eignen Leib.
M. Th.

Ein Solitär am Fernsehhimmel: Ellen Tiedtke – frech, schlagfertig, charmant!

15.09.2021

Als die bebrillten hübschen Augen der Assistentin Viktoria des Hamburgers Privatdetektivs Weber in Werner Toelckes Zweiteiler „Doppel oder nichts“ 1964 auf dem Bildschirm erschienen, lag die dazugehörige Stimme gerade als AMIGA-Single auf vielen Plattentellern: Nach Manfred Krug mit „Rosetta“ folgt „Fahr' doch allein Karussell“ Mit Ellen Tiedtke! Ein Ausnahmetalent, das vom Cottbuser Theater via Leipziger „Pfeffermühle“ zur „Distel“ nach Berlin kam und Gustav Müller sekundierte bei: „Da hat vor 50 Jahren noch keener dran gedacht!“ Und 1983-91 war sie „Ellentie“ in der Kindersendung des 2. Programms, mit der sie zweimal Publikumsliebling wurde. Ihr Ehemann Helmut Schneller, Distel-Hausautor und Sohn des KPD-Funktionärs Ernst Schneller, entzog sich der Prominenz mit dem Pseudonym „Hans Rascher“. Und Brigitte Reimann schrieb von der Tiedtke bezaubert in ihr Tagebuch 1961: „Mein Gott, man könnte lesbisch werden!“
M. Th.

Sendeunfall der Historie - „Rote Bergsteiger“ im August 1968 zur Besetzung der CSSR

11.09.2021

In Juni '68 starten 13 Folgen „Rote Bergsteiger“ auf bestem Sendeplatz: mittwochs 20 Uhr: Reißerischer Vorspann: 23 Takes in 67 Sek. Mit Tempo bildschirmgerecht gedreht: gute Groß- und Naheinstellungen, expressive Nachtszenen, die Stärken des S/W-Films herauskehrend. Spannende Handlungsstränge zwischen Gestapo und antifaschistischem Widerstand: Die jungen Gesichter späterer TV-Stars wie Ezard Haußmann, Sigrid Göhler oder Dieter Bellmann. Gegen Klischees besetzte Nebenrollen: Hannjo Hasse mal nicht als Schurke. Der als Proletarier übliche Johannes Wieke auf Gestapo-Seite. Wie auch Alexander Papendieck, H.-J. Preil oder Walter E. Fuß („Professor Flimmrich“). Nur dass diese Serie über die deutsch-tschechische Freundschaft unter Kommunisten auch noch beim Einmarsch der Sowjettruppen in die CSSR lief, war nicht geplant, wirkte absurd. Mit Gründung der neuen eigenen Abteilung Serie 1967/68 muss das Studio Halle dieses Genre einstellen.
M. Th.

Halles dritter Versuch der Serie gilt als Wurf – Bei Medienhistorikern und dem Publikum

10.09.2021

Das kleine Studio Halle hat alles parat: Den charismatischen Schauspieler Hans-Edgar Stecher für den VP-Hundeführer, mit Gerd Focke einen erfahrenen Autor und mit der leichteren Technik des 16mm-Films endlich die Chance, vor Ort selber eine Serie drehen zu können. Aber „Harras, der Polzeihund“ stößt auf Ablehnung. Nur 3 von 8 produzierten 25-Min.-Folgen werden 1967 gesendet, weil sie vorgeblich ein zu düsteres Bild der 'sozialistischen Menschengesellschaft' zeigten. Mit „Rote Bergsteiger“, der nächsten, ersten 13folgigen Serie, sind solche Vorwürfe ausgeschlossen. Es geht um antifaschistischen Widerstand 1933-36 in der Sächsischen Schweiz. Der Regisseur Willi Urbanek kommt vom Dokfilm, wo man immer an Orginalschauplätzen zu drehen und improvisieren versteht. Er filmt in Halle und um Bad Schandau, dessen Kino man mietet, um das gedrehte Material gleich sichten zu können, wenn es per Kurier aus dem Kopierwerk zurückkommt.
M.Th.

Die erste DFF-Serie „Hannes Scharf“ - Das Lehrgeld eines neuen Genres wird gezahlt

09.09.2021

„Hannes Scharf“ weist viele Mängel eines Pilotprojektes auf. Nur wenige der 10 Folgen finden die Balance zwischen Klamotte und sozialkritischer Historie, wie sie bei „Der Kapitän vom Tenkesberg“ (13 TV-Folgen/ Ungarn 1963) oder „Mir nach Canaillen“ (DEFA 1964) gelungen war. Immerhin, das Duo Peter Sindermann und Hilmar Baumann lässt es an artistischen Fecht- und Faustkämpfen, waghalsigen Sprüngen und Kletteraktion nicht mangeln. Kameramann Otto Merz liefert unverbrauchte Szenerien und die Musik von Georg Katzer die passende Temperatur. Neben Stars wie Marianne Wünscher, Helmut Schreiber gibt es neue Gesichter und originelle Besetzungen mit Hans-Joachim Preil oder Johannes Frenzel von den „Vier Brummers“. Wiederholungen erlebt diese in Adlershof ungeliebte Initiative des Studios Halle nicht. Aber das Prinzip Serie beim DFF ist nun nicht mehr zu stoppen. Peter Sindermann kommt mit 32 Jahren 1971 beim Flugsport ums Leben.
M. Th.

Der Startschub für Serien ist beim DFF privater Natur und kommt aus Halle/Saale

08.09.2021

Als der spätere SED-Funktionär Horst Sindermann nach 10 Jahren Zuchthaus und KZ 1945  heimkehrte, heiratete er seine Dresdner Schulfreundin Inge, die zwei Söhne von dem Schauspieler Hans Siegert in die Ehe mitbrachte. Einer davon, Peter Sindermann, studierte 1958-61 an der Filmhochschule Schauspiel, kam 1963 ans Theater Halle, hatte Glück, dass sein Stiefvater zu dieser Zeit 1. Sekretär des Chemie-Bezirks wurde und ein DFF-Studio hierhin haben wollte. Stiefsohn Peter hatte zusammen mit Hilmar Baumann studiert und sorgte dafür, dass per Fingerzeig des Vaters eine Mantel-und-Degen Fernseh-Serie für das Duo der 27jährigen geschrieben wurde: „Hannes Scharf“. 10 Halbstunden-Folgen in der Regie von Karlheinz Carpentier. An der Saale damals noch nicht mit eigenem Dampf möglich, aber das Studio beauftragte mit Vaters Rückenwind die DEFA. Wenig Atelieraufwand, viele Außendrehs zwischen Kap Arkona, Harz, Merseburg und Wettin.
M. Th.

Im Sog der Serie – Der DFF muss sich sputen

07.09.2021

Welche starke Resonanz Mehrteiler erreichten, bewiesen DFF-Titel wie „Flucht aus der Hölle“ (4 Teile/ 1960), „Tempel des Satans“ (3 T./ 1962) oder „Das grüne Ungeheuer“ (5 T./ 1962) . Jeder Teil hatte nahezu Spielfilmlänge und bedeutete hohen finanziellen Aufwand. Bei „Die Spur führt in den 7. Himmel“ (5 T./ 1963) konzipierte man schon auf nur je 50 Min. Oft kamen diese Publikumsrenner in Kompaktversionen auch ins Kino. Aber am Bildschirm konnten sie die Zuschauer 'nur' für 3-5 Abende bannen. Westliche Formate arbeiteten bereits mit Längen von nur je 25 Min. dafür aber mit 13 Folgen, für die bei Erfolg weitere 13er Staffeln dazukamen. Solche Serien ergaben bei ähnlichem Aufwand viel mehr Publikumsbindung, brauchten aber ganz andere Dramaturgien und Produktionsweisen. Für den DFF begann die Ära eigener Serien am 1.1.67, 16.05Uhr  mit 10 sonntäglichen Folgen „Hannes Scharf“ und mit der Gründung einer extra Abteilung.
M. Th.

Der Fernsehhunger nach Geschichten – goldene Zeiten für Autoren, harte Jahre für Dramaturgen

02.09.2021

Wie groß der Programmbedarf des DFF ist, zeigt das Kalenderjahr 1960. Für DEFA und Kinos mit 20 Spiel- und 4 Kinderfilmen ein durchaus properes Jahr. Für den Bildschirm dagegen werden 57 Fernsehspiele, 8 Fernsehfilme, 14 Kurzspiele und Dutzende Kindersendungen produziert. Autoren gibt die sprunghaft angestiegene Nachfrage an Stoffen viele Chancen. Aber Filmszenarien und Fernsehspiele mediengerecht zu schreiben, stellt hohe handwerkliche Anforderungen und verlangt erfahrene Dramaturgen zur Seite. Und die waren knapper noch als Autoren. Christa Vetter, seit 1956 beim Hörspiel tätig, wechselt 1962 nach Adlershof. Sie bringt Günter Kunert und Franz Fühmann zum DFF. Unter ihren Erfolgen z.B. 1965 der Fernsehfilm „Köpfchen, Kamerad“ nach Fühmanns im Aufbau-Verlag erschienen Krimi-Bändchen „Spuk – Aus den Erzählungen des Polizeileutnants K.“ mit Horst Kube und Fred Delmare und ab 1966 die Reihe „Erlesenes“ von Kurt Bortfeldt.
M. Th.

Ein Unfall, zwei Tote – die „tele-BZ“ trauert 

16.08.2021

Mit Günther Haack und Manfred Raasch verlor der DFF im Juni 1965 nicht nur für die „tele-BZ“ zwei junge Protagonisten. Haack galt als „Gérard Philipe des Ostens“, Raasch war ein Sänger mit Charisma. Beide probten in Bitterfeld für eine Fernsehsendung, waren in Leipzig im „Astoria“ untergebracht und nutzten das Angebot eines Kollegen, statt in den Bus in dessen PKW einzusteigen. Bei Gewitter krachte das Auto nahe Zschortau an einen Baum. Haack starb mit 36 Jahren, Raasch mit 33. Fahrer und zwei Schauspielerinnen überlebten. 1958 hatte Haack mit seinem Wartburg und 2,4 Promille in Berlin einen Arbeiter totgefahren und Fahrerflucht begangen. Staranwalt F. K. Kaul übernahm Haacks Verteidigung, was ihm die Öffentlichkeit übelnahm. Die Strafe waren – Haack hatte Vorfahrt – 'nur' 2,5 Jahre Haft, die er 8 Monate verkürzen konnte, da er sich für Bergwerksarbeit meldete. Nun war er selber das Todesopfer eines Unfalls.
M. Th.

Kalter Krieg per Kabarett – „tele-BZ“

14.08.2021

Als dieses Satiremagazin für West-Berlin 1959 startete, flüchteten monatlich Zehntausende Leute aus dem Osten per S-Bahn gen Bahnhof Zoo und man mochte nachvollziehen, warum diese Sendung mit geballter Kabarettrezeptur zum Anschwärzen des Kapitalismus im DFF-Vorabendprogramm platziert wurde. Aber nach dem Mauerbau 1961 und Jahre später mutete es immer seltsamer an, dass man sich zwischen Saßnitz und Zittau jeden Samstag Spottlieder und Sketche ansehen sollte, die das Klein-Klein zwischen Funkturm, Gedächtniskirche und KadeWe parodierten. Zumal niemand in der DDR die Berliner Zeitung „BZ“ des Ullstein-Verlags zu lesen bekam, auf deren Schlagzeilen, Berichte und Horoskope sich die „tele-BZ“ bis ins Jahr 1971 ständig bezog. Sehenswert machten die Sendung die agierenden Kabarettisten: Gerd E. Schäfer, Helga Hahnemann, Günther Haack, Ingeborg Krabbe, Edgar Külow, Ingeborg Nass, Manfred Raasch oder Werner Troegner.
M. Th.

Rare Ware – Der MAZ-Engpass des DFF

06.08.2021

Live-Sendungen des Fernsehens aufzuzeichnen war bis ca. 1960 nur mit einer Filmkamera (meist 16mm) möglich, die einen Bildschirm abfilmte. Der Zeilenabtastung halber drehte man nicht mit kinoüblichen 24 Bildern/Sekunde, sondern mit 25. Und alles musste ins Kopierwerk. Um elektronisch aufzeichnen zu können, bedurfte es 2 Zoll (5,08cm) breiter Magnetbänder, die mit 38cm/s Geschwindigkeit liefen und von einer mit 240 Umdrehungen pro Minute rotierenden Trommel von vier Magnetköpfen bespielt worden. Diese ab 1956 in den USA eingesetzten Video-Bandmaschinen der Fa. Ampex standen auf der CoCom Embargo-Liste und durften nicht ins Lager der Sowjets geliefert werden. Über Schleichwege kamen 1962 drei dieser MAZ-Geräte dennoch zum DFF. Und das Rundfunktechnische Zentralamt baute ab 1964 eine DDR-Variante. Aber die 2-Zoll-Bänder mussten dennoch importiert werden. Eine solcher Spulen (15kg) für ca. 50 Min. kostete über 1.000 DM.
M. Th.

Blüthner, Blaufuchs, Kaviar – „Kessel“ und „Musike“ auf der Jagd nach West-Prominenz

28.07.2021

Sechs Mal pro Jahr wurde ab 1972 samstagabends „Ein Kessel Buntes“ angesetzt; alternierend mit „Da liegt Musike drin“ – der Estrade mit Rainer Süß, die bereits seit 1968 produziert wurde. Um den „Kessel“ mit West-Stars zu veredeln, hatte Honecker via Finanzminister zusätzliche Valuta-Mittel bereitgestellt, wobei meist eine Hälfte der Gage in harter und die andere in DDR-Währung gezahlt wurde. Mit fünfstelligen Summen in DDR-Mark wussten jedoch viele westliche Künstler nichts anzufangen. Äquivalente mussten her: Meißner Porzellan. Oder für Udo Jürgens und für Katja Ebstein je einen Konzertflügel der Leipziger Pianofortefabrik Julius Blüthner. Heinz Quermann, dem für 'sein' „Da liegt Musike drin“ kein extra Valuta-Budget zur Verfügung stand, hatte seit eh und je findige Lösungen ausbaldowern müssen: Einen russischen Blaufuchs-Pelz für Freddy Quinn oder 40 Dosen Malossol-Kaviar für die „Olsenbande“ inklusive Manager.
M. Th.

Waschmaschine, Außenseiter und Liebe  – die Adlershofer Renovierung 1971/72

27.07.2021

Nachdem Honecker und Breshnew Ulbricht zum Rücktritt per 3. Mai 1971 genötigt hatten, setzte der DFF nach dem 8. SED-Parteitag mit dem „Polizeiruf 110“ am 27. Juni ein erstes Zeichen für ein attraktiveres Programm. Im Jahr 1972 wurden gleich mehrere solche Signale gesetzt: Am 29. Januar die 1. Ausgabe von „Ein Kessel Buntes“ (118 Folgen bis 1991), am 4. März „Mit Lutz und Liebe“ sowie am 18. Juli mit dem Start von „Außenseiter - Spitzenreiter“. Da trug der „Deutsche Fernsehfunk“ (DFF) bereits seinen per 11. Februar 1972 renovierten Namen: „Fernsehen der DDR“. Einer, den man zu diesen Auffrischungen extra nach Adlershof beordert hatte, war der vormalige Chefredakteur der „Jungen Welt“, Horst Pehnert, damals 39 Jahre alt. Eines Abends entschuldigte er sich aus dem Konzeptions-Gremium mit den Worten: „Ich muss mal einen Kessel Buntes waschen“ – einer Redensart, die im Prozess der Titelfindung schließlich obsiegte.
M. Th.

Die „Vierer-Bande“ des DFF okkupiert den Bildschirm

14.07.2021

Die filmischen Projekte, von langer Hand auf Kiel gelegt, wenn Jubiläen oder SED-Parteitage nahen, werden ab Mitte der 60er Jahre immer gigantischer. Aufwändige Mehrteiler. Ein neues Genre wird geboren: Der Fernsehroman. Vier Autoren bringen sich besonders massiv in Stellung: Karl Georg Egel („Dr. Schlüter“, „Ich - Axel Caesar Spinger“, „Begegnungen“); Gerhard Bengsch („Irrlicht und Feuer“, „Krupp und Krause“, „Eva und Adam“); Benito Wogatzki; („Meine besten Freunde“, „Die Zeichen der Ersten“, „Broddi“) und Helmut Sakowski („Wege übers Land“, „Die Verschworenen“, „Daniel Druskat“). Da werden die Möglichkeiten für andere Autoren drastisch knapper. Und die Gerüchte um Honorare und Privilegien der erwählten Schreiber immer üppiger. Im Schriftsteller-Verband rumort es ob dieser „Vierer-Bande“ – ein geschickt gewähltes Schmähwort, das aus dem fernen China unter Mao Zedong kam und beides barg: Spott und Verurteilung.
M. Th.

Uwe Johnson schreibt für den Abdruck des DFF-Programms in der Bundesrepublik

06.07.2021

Abschreiben der West-Vorschauen war im Osten 30 Jahre Usus. Weil man in der DDR-Presse keine Zeile zum ARD-Programm fand, startet der Springer-Verlag 1960 einen Abdruck-Boykott der DFF-Sendefolge. Zum Ärger der ca. 700.000 West-Bewohner, die am Adlershofer Programm interessiert waren. Der 1959 von Leipzig in den Westteil Berlins übergesiedelte Schriftsteller Uwe Johnson, dessen Werk in der DDR verboten war, schließt 1964 mit dem „Tagesspiegel“ den Vertrag: „Wenn ihr das Ostberliner Programm druckt, dann rezensiere ich euch das“. Seine Artikel machen vom 4.6. bis 3.12.1964 im Westen politische Furore und brechen den Bann. Die Resonanz beim Publikum ist schmal. Selbst als Johnson zum Test den von ihm erfundenen Schwindel einbaut, der DFF habe am 12.8.1964 den Beatles-Film „Yeah!, Yeah!, Yeah!“ gezeigt. Johnson entschuldigt sich für den Bluff. Seine letzte TV-Kritik lobt Werner Toelckes Krimi „Doppelt oder nichts“.
M. Th.

Das Jahr 1959: Der DFF hat einen Lauf

30.06.2021

Wie in keinem anderen Jahr laufen 1959 viele neu entwickelte Sendungen an, die staunenswert langen Bestand haben: Im Kinderprogramm debütiert nicht nur „Adi“, dessen „Mach's mit, machs nach, mach's besser!“ bis 1991 laufen wird – im bereits existierenden „Abendgruß“ beginnt am 22.11. das legendäre „Sandmännchen“! Auch Walter E. Fuß als „Professor Flimmrich“ (bis 1980) und Jiří Vršťala als „Clown Ferdinand“ gehen auf Sendung. „Zu Besuch bei Prof. Dathe“ etabliert eine beliebte Tiersendung. Heinz Quermann gelingt nicht nur mit der Talente-Sendung „Herzklopfen kostenlos“ ein Treffer, sondern setzt mit „Zwischen Frühstück und Gänsebraten“ eine alljährliche Kultsendung in die Welt. Und mit Bruno Carsten als markiger „Hauptmann Wernicke“ startet die in 29 Folgen bis 1968 laufende Krimi-Reihe „Blaulicht“. Alexander Papendieck und Horst Torka als korpulenter „Leutnant Timm“ – geben dem Ermittler-Trio auch humorvolle Konturen.
M. Th.

Adi – ein DDR-Vizemeister im Gehen schenkt  dem Jugendsport im Fernsehen Witz

28.06.2021

Besser hätte man es nicht haben können: Ein komödiantischer Spitzensportler, der eine Stunde spannendes Kinderprogramm präsentiert. Unter „Sport-Spiel-Spaß“ startet 1959 eine Live-Sendung, deren Moderator „Adi“ – DDR-Vize- und Mannschaftsmeister im 20-km-Gehen Gerhard Adolph – 22 Jahre alt ist. Ulbricht hatte gerade die Parole ausgegeben: „Jedermann an jedem Ort – jede Woche einmal Sport!“ Als Hallenser hat Adi ein flottes Mundwerk, als Geher im Olympia-Kader einen fitten Körper. 1960-63 studiert er Schauspiel an der Filmhochschule. Ab 1964 heißt es dann „Mach's mit, mach's nach, mach's besser!“ 333 Folgen mit Sport- und Wissenswettbewerben zweier Schulmannschaften vorm Publikum der Klassenkameraden. Dazu Slapstick-Einspieler von Adi, dessen tapsige Clownerien alle mögen. Nur Frau Honecker nicht. Der ist das zu viel Quatsch. Aber die Sendung läuft bis 1991 und ist - simultan übersetzt - populär bis in die UdSSR.
M. Th. 

Die Film-Schätze aus Berlin-Wilhelmshagen

22.06.2021

Um die Rumpelkammer-Auswahl zu treffen, begaben sich Willi Schwabe und Redakteure nach Wilhelmshagen, Fürstenwalder Allee 401 ins Staatliche Filmarchiv. Dort wurden die 8-10 schweren 300-Meter-Rollen eines Spielfilms per Projektoren an die Leinwand des Vorführkinos geworfen. Nach Auslösen der Bestellung, brachte ein Barkas die Filme nach Johannisthal, wo die 35mm-Streifen zum Abtasten in einen elektronischen Filmgeber eingelegt und zur Sendung eingestartet wurden. Das Prozedere betraf auch viele der anderen 900 Filme, die pro Jahr im Programm liefen. Das Filmarchiv stellte dem Fernsehen all die Dienstleistungen einzeln in Rechnung. Später einigte man sich auf eine Jahrespauschale. 1988 waren es 1 Million DDR-Mark. Und 1973 waren zwei solche Rollen aus den Wäschekörben im Transporter gefallen, dem auf dem Kopfsteinpflaster die Tür aufgesprungen war. Die Finder brachten das Filmgut zur Volkspolizei.
M. Th.

'Der gefilmte Brehm' - Der Dresdner Zoodirektor, Autor und Tierfilmer Professor Ullrich

18.06.2021

Die 1955 begonnene Sendereihe „Der gefilmte Brehm“ erlangte durch den charismatischen Dresdner Zoodirektor Wolfgang Ullrich rasch enorme Popularität. Der kundige Tierfilmer hatte zusammen mit seiner Frau Ursula von 1955-57 zwei Afrika-Reisen und 1959/60 zwei Indien-Safaris unternommen. Dabei entstanden so viele Aufnahmen, dass bereits 1960 die 50. Folge seiner Sendereihe gefeiert werden konnte. Zu diesem Jubiläum wurde aus Ulrichs Dresdner Wohnhaus übertragen, wo er seine Tier-, Afrika- und Indien-Bücher vorstellte und den verblüffenden Wunsch äußerste, am liebsten einen Abenteuerroman für junge Leute schreiben zu wollen. Das war ihm leider nicht vergönnt – er wurde nur 50 Jahre alt und starb 1973. Während man an den meisten Revers der DDR-Fernsehprominenz das SED-Abzeichen gewohnt war, trug Professor Ullrich das Parteiabzeichen des CDU-Blockpartei. Mit einer Taube als Symbol des heiligen Geists.
M. Th.

Die Rückeroberung des Montagabends

14.06.2021

Als die Macher des Adlershofer Versuchsprogramms 1953 glaubten, man könnte den Defiziten an sendbaren Filmen etwas begegnen, indem man jeden Montag fernsehfrei erklärte, gab es ganze 70 Fernsehgeräte in der DDR und Ulbricht hielt nicht viel von diesem Medium. Als drei Jahre später am 2.1.1956 die Versuchsphase beendet und das Programm des Deutschen Fernsehfunk (DFF) offiziell eröffnet wurde, waren es schon 13.600 und Ende 1958 bereits nahezu 300.000 angemeldete östliche Fernsehapparate. Der DFF war gegen die ARD in eine Schlacht um die Zuschauergunst geraten, in der man den Montagabend nicht mehr dem karierten Testbild und damit „dem Westfernsehen“ überlassen durfte. Der Erfolg der 1955 gestarteten „Rumpelkammer“ und die von den Sowjets inzwischen an das neu gegründete Staatliche Filmarchiv übergebenen Bestände der UFA ermöglichten ab November 1957 die „Montagsfilme“ mit Hans Moser, Marika Rökk und Heinz Rühmann.
M.Th.

Von der Wendeltreppe zur Rumpelkammer

13.06.2021

Bereits 1953-55 reichten die Kapazitäten für das Fernseh-Versuchsprogramm abendlicher 2,5 Stunden kaum aus. Auch wenn man sich von vornherein auf 6 Sendetage beschränkt und den Versammlungstag Montag für fernsehfrei erklärt hatte. Der Mangel brachte den Dramaturgen Peter Palm auf die Idee, ein Programm mit moderierten Filmausschnitten zu entwickeln. Arbeitstitel: „Die Wendeltreppe“. Zwar befanden sich die von den Alliierten beschlagnahmten Archive vor 1945 gedrehter Filme überwiegend auf Ost-Territorium, wurden aber von „Sovexport“ verwaltet. Als endlich ein vertraulicher Zugang zu den Bunkern östlich des Babelsberger Filmgeländes bestand, um erste Streifen zu sichten, fand man ein durch deutsche Eil-Evakuierungen und sowjetische Abtransporte chaotisch zerklüftetes Archiv vor. Palm ließ sich nicht abschrecken, änderte aber den Titel der am 13.12.1955 beginnenden Sendereihe in „Willi Schwabes Rumpelkammer“
M.Th.

Von Manfred von Ardenne bis Kati Witt – Zeitzeugen in: „Porträt per Telefon“

09.05.2021

Ein Mal im Monat wurde von 1969-90 das Zwei-Sessel-Podium für „Porträt per Telefon“ in das kleine Live-Studio geschoben, später auch die Hammondorgel von Hasso Veit oder ein Stutzflügel für den Pianisten Harry Heinze. Wirklich Zeit für Musik war in den 45 Minuten keine, aber der Sammlungspause für neue Fragen und dem finalen Gang zur Autogrammwand bekamen die Orgel- bzw. Klaviertakte gut. Von Manfred von Ardenne und Prof. Althaus über Helga Göring, Bernhard Heisig, Ulrich Mühe bis hin zu Kati Witt entstanden 254 Sendungen. Leider blieb die Bildaufzeichnung – erst recht die in Farbe – bis zum Ende der DDR die Achillesferse. Die nötigen 2-Zoll-Magnetbänder (später 1 Zoll breit) waren Importe und knapp. So wurden die MAZ-Bänder oft nur bis zur Wiederholung im 1. Programm aufbewahrt und aus Materialmangel wieder neu bespielt. Daher sind nur ein Bruchteil der historisch relevanten Fernseh-Porträts tatsächlich archiviert.
M. Th.

Renate Holland-Moritz und ihr „Kleener Russe“

08.05.2021

Auch wenn man beim DFF gern auf Nummer sicher ging – um alle publizistischen Sendungen vorproduzieren zu können, fehlten einfach die technischen Ressourcen und Studio-Kapazitäten. Deshalb war man froh, mit Heinz-Florian Oertel einen zu haben, dem man so eine tatsächliche Live-Sendung wie „Porträt per Telefon“ anvertrauen konnte. Um den beneidenswerten Status, dass ihm niemand in die Sendung reinredete, halten zu können, lässt Oertel, wie er nach den Wende offenbarte, in der Auswahl seiner Gäste Vorsicht walten: Eberhard Cohrs oder Eberhard Esche lud er z.B. nie ein. Zu unberechenbar! Als Renate Holland-Moritz zu Gast war und Oertel sie nach ihrer Freizeit fragte, berlinerte sie ihm entgegen: „Ach, da jeh ick jerne inne Kneipe aufn Bier und nen kleenen Russen!“ Oertel entglitt das Gesicht. „Na 'n Wodka, meen ick“, schob die Holland-Moritz nach – ahnend, dass sie seine Sendung live aufs Glatteis geführt hatte.
M. Th.

Die Talkshow vor Geburt des Genres – „Porträt per Telefon“ mit Heinz Florian Oertel

07.05.2021

Drei Wochen nach Start des Farbfernsehens und dem neuen 2. Programm kommt Dienstag, dem 28.11.1969, 20 Uhr mit „Porträt ohne Titel“ ein neues Format aufs Tapet: Ein unterhaltsames Live-Gespräch mit DDR-Prominenten, das unter „Porträt per Telefon“ 21 Jahre lang noch 253 Ausgaben (!) erleben wird. Heinz-Florian Oertel als charmanter reaktionsschneller Gastgeber, der namhafte Künstler, Wissenschaftler, Sportler, Ärzte etc. in Dialogform präsentiert, und die Zuschauer können per Brief oder Anruf ihre Fragen einbringen. Mit Werner Klemke als Gast gelingt eine amüsante verheißungsvolle Pilotsendung. Mit nur drei Kameras aus einem kleinen engen Studio. Die Kabinen zum Entgegennehmen der Anrufe dicht hinterm Podium. Oft dringt der Schall der Telefonistinnen in den Sendeton. Oertel wählt die Gäste aus, macht die Vorbereitung selber, 1 Aufnahmeleiterin, 1 Bildregisseur. Eine Talkshow lange vor der Geburt dieses Begriffs.
M. Th.

Nahe Verwandte: Hörspiel und Fernsehdramatik

29.04.2021

Bei Hörspielen, die das DDR-Fernsehen adaptierte, wird oft an die Familienserie „Neumann, 2x klingeln“ gedacht, die von 1968-83 in 678 Radiofolgen lief und auf dem Bildschirm 31 mal als „Familie Neumann“ (1984-86). Dass Hörspiele gute Geschichten für erfolgreiche Fernsehdramatik lieferten, belegen aber auch Stücke von Autoren wie Manfred Bieler („Die Hochzeitsreise“/„Drei Rosen aus Papier“), Joachim Nowotny („Galgenbergstory“/„Ein altes Modell“) und Gerhard Rentzsch („Aller Liebe Anfang“/ „Jugendweihe“). Das Fernsehen hat von Anbeginn auch personell auf Radioleute gesetzt: Regisseure wie Hans Knötzsch oder Edgar Kaufmann; Dramaturgen wie Horst Angermüller, Bernd Schirmer und Christa Vetter. Oder auch Hörspiel-Dramaturgen, die griffige Szenarien schreiben konnten: wie z.B. Alexander Kent alias Ludwig Achtel („Der Lumpenmann“) und Jochen Hauser („Familie Rechlin“).
M. Th.

Ein „Dialogwohltäter“ namens Rudi Strahl

26.04.2021

„Von Melodie zu Melodie“ hieß 1960-64 die monatliche Produktion des DFF, die am damals noch nicht arbeitsfreien Samstag gute Abendunterhaltung bot. Zwei Stunden live! Mit Schlager- und Operettenstars, Komikern, Fernsehballett sowie Christine Laszar und Gerry Wolff als Moderatoren, die durch Bezüge auf Ort bzw. Anlass den thematischen Faden vermittelten. Unter den Autoren der junge Rudi Strahl (1931-2001). Als sich einmal in Leipzig am Freitagabend zur Generalprobe gleich drei Solisten krank meldeten, wollte man die Übertragung abblasen. Aber Adlershof intervenierte. Man hatte keinen Ersatz; Strahl jedoch den rettenden Einfall: Er schrieb am Samstagvormittag Texte für die Gedankenstimmen zweier Pianisten. Eine neue Sendeform war geboren: „Zwischen zwei Flügeln“. Hinfort hieß Strahl der „Dialogwohltäter“. Damals lernte er Rolf Herricht kennen, der ihn auf die Film-Idee für: „Der Reserveheld“ (DEFA 1965) brachte.
M. Th.

Opa Eduard – ein Vorgänger des Rechtsanwaltes Liebling

22.04.2021

Mit "Liebling Kreuzberg" hat Jurek Becker (1937-97) eine legendäre Fernseh-Serie geschaffen – 45 Folgen lang von 1986 bis 1998 ein von SFB/NDR/WDR produzierter Beweis, dass Unterhaltung nicht trivial sein muss, dass geschliffene Dialoge den Zuschauern Vergnügen und keine Überforderung bedeuten. Geschrieben von einem, der erst mit 8 Jahren Deutsch zu lernen begann. Geistreiche Würdigung des bundesdeutschen Rechtsstaates aus der Feder eines Autors, der vormals 20 Jahre lang SED-Mitglied war. Kaum bekannt ist, dass nämlicher Autor unter dem Pseudonym Georg Nikolaus bereits 19 Jahre zuvor eine Serie von Familien-Komödien für den DFF geschrieben hatte. Die drei Stücke liefen 1967/68 mit den Titeln „Immer um den März herum“, „Mit 70 hat man noch Träume“ und „Urlaub“. Im Mittelpunkt stand kein hochdotierter Kreuzberger Rechtsanwalt, sondern der DDR-Opa Eduard. Den spielte nicht Manfred Krug sondern Walter Lendrich.
M.Th.

Fischkoch mit böhmischen Akzent – Rudolf Kroboth

17.04.2021

Seine Zubereitungsformel „Säubern, Säuern, Salzen“ hatte sich schnell verbreitet. Nur dass der schnauzbärtige Fischkoch so überhaupt nicht nach Waterkant klang, war seltsam. Rudolf Kroboth (1920-1986) sprach böhmischen Akzent, war in Bad Königswart aufgewachsen und nach dem Krieg über Bayern schließlich in der Lausitz gelandet, ehe er findiger Werbeleiter der VVB Hochseefischerei Rostock wurde. Immer dienstags in den „Tausend Tele-Tips“ liefen seine fünfminütigen Fischrezepte. Walter und vor allem Lotte Ulbricht bestärkten ihn. 606 Sendungen gab es von 1960 bis 1972, als weltweit Fischereischutzzonen eingerichtet wurden und die knapper werdende Fische nicht mehr extra beworben werden sollten. Kroboth widmete sich der Gastronomie und baute die von ihm initiierte, beliebte Restaurantkette „Gastmahl der Meeres“ aus, welche 1989 auf 33 Filialen angewachsen war. Die erste Gaststätte dieser Art war 1966 in Weimar eröffnet worden.
M. Th.

Kein Rummel, ein Star durch Charakter – Gunter Schoß  

14.04.2021

Bereits mit dem Bildschirmdebüt des aus dem Strafvollzug entlassenen Egon Brümmer in „Egon und das achte Weltwunder“ (1964) gewann der 24jährige gelernte Werkzeugmacher Gunter Schoß die Sympathien des Publikums und markierte ad hoc seine Persönlichkeit: Lässig, doch genau und konkret. Sehr ernsthaft; mit einem Stolz, der ihn verletzbar macht und bei Nichtachtung enorme Intensität generiert. Dazu eine kernig Stimme. In der Verfilmung des Hörspiels „Mein Vater Eddie“ (1968) erlebte der Autor Gerhard Rentzsch Gunter Schoß als sensible Idealbesetzung der Titelrolle. So begann eine seltene Autor-Darsteller-Arbeitsbeziehung auf Jahrzehnte. Für den sechsteiligen Hörspielroman „Das Amulett“ (1970) wie auch die dreiteilige Fernseh-Version „Aller liebe Anfang“ (1972) schrieb Rentzsch die Hauptrolle Gunter Schoß auf den Leib. Und noch 30 Jahre später den genüsslichen Erzähler seiner Hörspielminiaturen „Augenblickchen“ (1989-2001).
M. Th.

Ein Fallada aus Zerbst - Manfred Bieler

12.04.2021

Der Vergleich hinkt - bezeichnet aber die Tragik, dass der fabulierfreudige, lebensprall schreibende Manfred Bieler (1934 - 2002) heute fast vergessen ist und eigentlich auch einen Rang wie Hans Fallada in der Erzähltradition deutscher Zunge einnehmen könnte. Als Sohn eines Zerbster Baumeisters hatte der 1,93 m hohe Bieler nach dem Abitur in Dessau an der Humboldt-Uni Germanistik studiert. Mit ihm sein späterer Hörspieldramaturg Wolfgang Beck. Mit dessen Beistand gelang es Bieler, ab 1958 in nur 6 Jahren 10 (!) geistreiche Hörspiele in der DDR herauszubringen. Drei davon wurden rasch fürs Fernsehen adaptiert. 1965 heiratete Bieler nach Prag, von wo aus er nach dem sowjetischen Einmarsch 1968 gen München ausreiste. Mit dem Verbot von Bielers Roman und Film "Das Kaninchen bin ich" (1965) war eine Rückkehr in den Osten ausgeschlossen. Sein Familien-Epos "Der Mädchenkrieg" wurde 1977 ein enormer Bildschirmerfolg für die ARD.
M. Th.

Das Pathos der Ulbricht-Ära - Hans-Georg Ponesky

22.03.2021

Ihrer Stimme nach hätten sie sich doubeln können - Fernsehkoch Drummer, Radiomoderator Hansel ("Alte Liebe rostet nicht") und Spielmeister-Filou Hans-Goerg Ponesky (1933-2016). Alle drei sprachen baritonales Hochdeutsch mit sächsischem Akzent. In Ehrgeiz, Konzept und Pathos überragte der Dresdner Ponesky indes alle. Seine die Jahrestage feiernde Fernseh-Estrade "Mit dem Herzen dabei" (1964-68) verknüpfte die Revuebühne mit Live-Schaltungen zu Außenspielorten und zelebrierte die Pathetik der vermeintlichen sozialistischen Menschengemeinschaft ganz im Sinne Walter Ulbrichts. "Pony" - im Kollegenkreis "die blonde Träne" genannt - rettete sich in die Honecker-Ära, indem er Volksliedgut und passionierte Laienchöre für "Alles singt" (1976-91) aktivierte - hinter ihm die findige Gattin Dr. Karin Ponesky, die die Rezeptur auch in die Nachwendezeit und die Honorierung in harter Währung zu verlängern verstand.
M. Th.

Kurt Drummer – 22 Jahre: „Der Fernsehkoch empfiehlt“

21.03.2021

Die Hausfrauennachmittage, die Kurt Drummer als Chefkoch am „Erfurter Hof“ anbot, waren der Frauenredaktion des DFF zu Ohren und mit einer ersten Live-Übertragung 1958 auf den Bildschirm gekommen. Von 1961 bis 1983 gab es dann 14tägige Halbstunden-Sendungen aus der Fernsehküche im Ostseestudio Rostock. Mit 2000 Rezepten! Während im NWDR der Schauspieler Carl Clemens Hahn einen Fernsehkoch namens Wilmenrod mimte, war der in Gornsdorf/Erzgeb. geborene Drummer (1928-2000) ein echter Spitzenkoch und studierter Ernährungsexperte, der Öl statt Butter anpries. Als er 1983 die beliebte Samstags-Sendung nach 650 Folgen tragischerweise selber aufkündigte, war er erst 55 Jahre alt! Der Vertrag verpflichtete ihn, alle Zutaten selber beizubringen. Aber um in der Versorgungslage der DDR den banalsten Zutaten hinterherzutelefonieren, hatte er, wie er 1994 offenbarte, einfach nicht mehr die Nerven.
M. Th.

Juergen Schulz – zwischen Glitzerwelt und einer großen Erzählerin

10.03.2021

Als letzten Sommer der Fernseh- und Radiomoderator Juergen Schulz („Alles singt!“ und „Eine runde halbe Stunde“) mit 76 Jahren starb, nahmen viele seiner Verehrerinnen und Fans mit Erstaunen zur Kenntnis, dass dieser Mann der Schlager-Welt und heiteren Muse ein engster Vertrauter der Schriftstellerin Brigitte Reimann war, in die er sich 1969 in Neubrandenburg schwer verliebt hatte. In ihren gedruckten Tagebüchern bleibt er als „Juergen (geb. 1943), Journalist“ anonym im Hintergrund. Dabei gehörte er zu den raren Freunden, die sie bis zu ihrem frühen Tod, als sie 1973 im Alter von nur 39 Jahren starb, in der Klinik in Berlin-Buch treu besuchten. Er hatte ihr beim Schreiben von „Franziska Linkerhand“ beratend und Schreibmaschine tippend zur Seite gestanden und es immer wieder geschafft, sie mit seinen charmanten Frechheiten aufzuheitern.
M. Th.

Wolfgang Brandenstein – Conferencier ohne Aufdringlichkeit

06.03.2021

Dass der Ur-Berliner Wolfgang Brandenstein (*1929) nicht mit flottem Mundwerk triumphierte, sondern mit Ruhe, Lächeln und Teddybären-Timbre, wirkte Ende der 50er Jahre als Kontrapunkt zum quirligen Hannoveraner Heinz Quermann mit der Trompetenstimme. Brandenstein – ein radioerprobter Schallplatten-Kenner – überraschte mit Wortwitz und geistreichen Einfällen. Das kam nicht nur den Familien-Spielshows im Live-Fernsehen zugute – „Was darf's denn sein? fragt Wolfgang Brandenstein“ (1958-60) oder „Gesucht und gefunden“ (1960-62) – sondern auch Schlagerstars, für die er Erfolgstitel textete, wie z.B. den 'Jahrhundert-Hit' „Kinder, Kinder, ich hab' keinen Zylinder“, den Will Brandes gesamtdeutsch oder „Erna kommt“, den Lippi in Ost und Hugo Egon Balder in West populär machte. Die Musiken meist von Gerhard Siebholz und Arndt Bause. Über 200 Mal Qualitätsmarke: Text – Brandenstein!
M. Th.

Jutta Hoffmann und die Kamera – eine hochzeitliche Begegnung

26.02.2021

Den Anfang nahm dieses Verhältnis bereits bei ihrem ersten Auftritt vor Live-Kameras des DFF, als sie 17-jährig spontan in der Unterhaltungsendung „Was darf´s denn sein? fragt Wolfgang Brandenstein“ im Schkopauer Kultursaal der Chemischen Werke Buna mitwirkte – dem Betrieb, in dem ihr Vater Erich Buchhalter war; dem Haus, in dessen Laienspielgruppe sie spielte. An diesem Samstagabend am 11.10.1958 sollte möglichst viel Kleingeld auf die Bühne gebracht werden. Jutta Hoffmann kam mit einer Zigarrenkiste voll Pfennige und gewann. Brandenstein war von der schlagfertigen Abiturientin so begeistert, dass er sie für die nächste Sendung aus Rostock als Assistentin engagierte.
M. Th.

Geburtstage von Schauspielerinnen und Schauspielern der DDR

Geburtstage von Schauspielerinnen und Schauspielern der DDR im Monat
Dezember.

  • 9.12. Herbert Graedtke (* 1941)
  • 9.12. Harry Pietzsch (* 1929)
  • 9.12. Traudl Kulikowsky (* 1943)
  • 10.12. Wolfgang Brunecker (* 1914)
  • 10.12. Evelin Opoczynski (* 1949)

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Wiederholungen von DDR-Fernsehsendungen im privaten oder öffentlich rechtlichen Fernsehen

Wiederholungen von DDR-Fernseh- sendungen im privaten oder öffentlich-rechtlichen Fernsehen im Monat
Dezember.
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